
Was bedeutet eigentlich Fairtrade?
9. Oktober 2019
Einfach nachhaltiger: rasieren
7. November 2019Steinmännchen bauen liegt voll im Trend – und schadet mehr als man denkt.

Ich mag Steinmännchen oder Steinhaufen. Ihr wisst schon, diese aufeinander gestapelten kleinen oder auch großen Steine, die manchmal richtig cool aussehen. Zwar habe ich tatsächlich selbst noch keines gebaut, finde sie aber immer wieder richtig hübsch und bestaune sie in Flusbetten, in den Bergen, auf Wanderungen im Wald. Was früher einmal dazu diente, Wege oder wichtige Orte zu markieren, ist heute irgendetwas zwischen Hobby, Kunst, (Selbst)Darstellung a la „I was here“. Irgendwie ja trotzdem nett, oder? Aber wusstet ihr, dass diese menschengemachten Steinfiguren gar nicht so toll sind, wie man denkt? Meine Freundin @triene38 hat mich bei unserer Schluchtensteigwanderung darauf aufmerksam gemacht. Ich hatte noch nie über Nebeneffekte nachgedacht und wollte das ich jetzt mal genauer wissen.
Wenn Steinmännchen zu einer Plage werden.
Ok, dass zuviel des Guten ein Problem sein kann, darauf könnte man schon an bestimmten Stellen wie dem Isarursprung kommen. Da steht nicht nur ein Steinmännchen, nein es sind etliche. Jede*r Tourist*in hinterlässt ein weiteres Männchen. Ganze Strände, Flussbetten, Gebirgswiesen oder Ebenen werden so zu Kunstwerken. Solche Männchen zu bauen trendet seit einiger Zeit nämlich und nimmt (wie ja irgendwie alles, was wir Menschen so tun) überhand. Unberührte Natur? Fehlanzeige. Wo Steine, da Männchen. Ü b e r a l l . Das kann problematisch werden. Denn es gibt Gegenden, da sind solche Steinmännchen/Steinhaufen tatsächlich sehr alt und damit ein Teil der heimischen Geschichte wie in Island. Wer hier in Nationalparks weitere Steinhaufen/-männchen dazubaut, tut verbotenes. Selbst vor alten Steinmauern in Norwegen machen Steinstapler*innen keinen Halt und nutzen die Mauersteine um ihre eigenen Haufen zu bauen.
In Teneriffa zum Beispiel rückten wegen dieser „Plage“ extra 150 Freiwillige an um einen Steinstrand von tausenden Steinmännchen zu befreien und wieder in seinen natürlichen Zustand zu bringen. Wieso aber kann man an Stränden oder Flussbetten nicht einfach die Steinmännchen stehen lassen? Da ist kein Nationalpark und man klaut auch niemanden die Steine.
Weil Steinmännchen ein ökologisches Problem sind.
Ökosysteme werden durch unser Hobby instagrammable Steinmännchen zu bauen gefärdet. Denn Steine sind nicht nur Steine. Auf und unter ihnen wachsen Pflanzen und suchen Tiere Schutz. Die Steinstrände an denen sich so viele Steinmännchen finden sind eigentlich natürliche Lebensräume für Reptilien, Insekten und Spinnen. Mit jedem entwendeten Stein wird ihnen ihr Rückzugsort genommen. Außerdem werden eigentlich unter Steinen wachsende, empfindliche Pflanzenarten freigelegt und Brutmöglichkeiten oder Zuflucht vor Angreifern entfernt.
Wer mitten in die Landschaft große Ansammlungen von Steinmännchen oder große Steinhaufen baut riskiert, dass Tiere ihre ursprünglichen Routen nicht mehr ziehen,weil nun etwas im Weg liegt. Man nimmt auch an, dass sie Einfluss auf Wasserläufe haben können, wenn sie ins Flussbett gebaut werden.
Natürlich ist ein einziger Steinhaufen kein Problem. Doch überlegt man sich, wie lange ein solches „Bauwerk“ halten kann und auch, wie schnell es sehr viele Nachahmer*innen findet, ist eigentlich schon klar, dass man hier wohl nicht von „nur einem“ reden kann.
Steinmännchen aber bitte nicht einfach umstoßen!
Zuerst muss man sich natürlich überlegen, ob es sich um ein „Spaß“-Steinmännchen oder zb in den Bergen um einen Wegweiser handelt. In einigen Ländern kann es zudem ein historisches Artefakt oder bedeutungsvolles Kulturgut der Bevölkerung sein. Im Zweifel lieber einmal zuviel nachgefragt. An und in Flüssen und heimischen Wäldern handelt es sich aber mit großer Wahrscheinlichkeit um ein touristisches Bauwerk. Auch Steinmännchen an Steinstränden wie auf Mallorca, Teneriffa oder auf Fortuventura sind eindeutig nicht schützenswert.
Dennoch sollte man so ein Steinmännchen nicht einfach umwerfen, sondern die Steine einzeln nehmen und nach Zufallsprinzip verteilen, vorzugsweise an freie ungeschützte Stellen im Boden, wie es Biologe Pedro Luis Sánchez im (spanischsprachigen) Youtube Video ab Minute 2:25 zeigt. Hier sieht man auch noch einmal, welches Ausmaß das Steinestapeln haben kann.
Alles Spaßverderber, wir haben doch größere Probleme.
Keine Steinmännchen mehr bauen zwecks Umweltschutz … Wir haben doch echt größere Probleme! Ja haben wir. Aber die haben wir deshalb, weil uns schon die kleinen Probleme nicht interessieren. Wir sind blind und taub für Zusammenhänge und denken meistens nicht sehr weit (ich auch nicht, ich fand die ja immer hübsch anzuschauen, finde ich sogar immer noch).
Wer sich in der Natur bewegt, sollte sich an die Richtlinien des „Hinterlasse keine Spuren“ halten. Und mal ernsthaft: Ein „Ich war hier“ Steinhaufen ist eine verdammt fette Spur. Wir müssen uns einfach im klaren sein, dass jede Veränderung, die wir vornehmen Folgen hat. Für Flora, Fauna und am Ende für uns. Ein Steinmännchen ist kein Problem. Hundert sind eines. Und da wir im Zeitalter von Massentourismus, Instagrammtourismus und Lemmingtum leben, kann jede*r von uns davon ausgehen, dass wo ein Steinmännchen steht, bald zehn, bald fünfzig, bald mehrere hundert stehen werden.
Wir reden hier nicht von rituellem Wert, von Hinterlassenschaft für Nachkommen, wir reden hier von schnödem Steine aufeinander stapeln. Kann man machen, oder lassen. Letzteres wird unser Leben nicht grau und trist machen aber Tiere und Pflanzen schützen.
Für diesen Text genutzte Quellen:
Steinmännchen werden zur Plage von Peter Carstens (GEO 2019)
Rock-stacking denies people the experience of wildness (Blue Planet Society 2018)
Skye locals remove rubbish and over 100 “disgraceful” stone stacks from popular tourist hotspot (Sunday Post 2018)
Nicht so gern gesehen: Touristen, die Steinhaufen hinterlassen (Iceland Review 2015)
Leave no Trace Webseite
1 Comment
Oh, das war mir tatsächlich auch nicht klar. Ich habe zum ersten Mal mehrere solche Haufen im Allgäu gesehen, das war 2008, in einer Klamm und ich fand das einfach nur unheimlich. Weit und breit keine Menschenseele aber überall diese Türmchen. Kam mir vor wie in einem Horrorfilm… bei meinen Eltern im Wald gibt es noch eine Stelle, da legen manchmal Leute einen Stein drauf wenn sie dort waren. Das fand ich immer ganz schön, aber wusste nicht, dass es eben auch negative Effekte hat. Wobei es da tatsächlich nur ein Steinturm ist und nicht hunderte.