#allesGeschichte | Oder was?
#allesGeschichte | Die Wikinger
Das Mittelalter – unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr … Moment. Falscher Film. Aber am Ende doch nicht so absurd. Denn für uns heute ist das Mittelalter weit weg. Und fremd. Es besticht durch Schlagwörter wie Dreck, Ritter, Pest, Hexen, Könige und Klerus, also das kirchliche Bodenpersonal. So zumindest meine Umfrage zu #allesGeschichte auf Instagram. Mit uns hat es quasi nichts mehr zu tun, außer in der Fantasy-Abteilung.
So einfach ist das nur alles nicht. Denn „das Mittelalter“, das sind ca. 1000 Jahre Geschichte. Eine Zeitspanne, die wohl kaum immer gleich gewesen sein kann. Doch noch mal einen Schritt zurück. Damit ihr wisst, was ich meine, wenn ich „Mittelalter“ sage, muss ich erstmal definieren, worauf ich mich beziehe.
Das Mittelalter – zeitliche Abgrenzung
Man zählt ungefähr die Zeitspanne 500 – 1500 n. Chr. zum Mittelalter. So eine Einteilung klappt natürlich nur durch Abgrenzung. Und damit kommen wir zum Knackpunkt: Man kann das diskutieren. Meistens nimmt man die gesellschaftliche Struktur (Ständegesellschaft) und die kirchliche Macht als gemeinsamen Nenner des Mittelalters. Und weil natürlich nie jemand morgens aufwacht und sagt „Ahaa, lass mal Ständegesellschaft machen!“ oder „So, nu ist aber genug mit Kirche!“, sondern immer alles eine Entwicklung ist, gibt es auch keine fixe Zeitspanne sondern eine ungefähre Abgrenzungen zu anderen Zeiten.
Anfang, Ende, Mitte
Wer von ca. 500 als Beginn spricht, der hat den Fall Roms, das Ende vom weströmischen Reich, die „Völkerwanderung“ oder die Neugründung von Reichen, wie z.B. dem Fränkischen Reich (ihr wisst schon, Karl der Große) im Kopf. Genau so sieht es auch aus mit der Abgrenzung nach vorn. Irgendwo zwischen Buchdruck, Bauernkriegen, Reformation und Kolumbus, der den Weg nach Indien nicht findet, endet das Mittelalter und die Neuzeit beginnt.
Das niemand (außer gegen Ende) im Mittelalter vom „Mittelalter“ sprach, klingt logisch. Epochen sind fast immer eine rückblickende Definition. Die Menschen irgendwann zwischen 600 und 1400 n. Chr. sahen sich nicht in der Mitte, sondern am Ende. Komme ich nachher noch drauf. Außerdem muss man klar fragen, wer da eigentlich Beschreibungsmacht bei der Namensgebung hat. Von was ist das Mittelalter die (dunkle) Mitte?
Kurzes Luftholen. Das ganze mit dem „dunklen Mittelalter“ fing tatsächlich schon an seinem Ende an. Klar, man wollte sich distanzieren, man verehrte die griechischen und römischen Leistungen und vermutlich fragte man sich in der Renaissance auch, wieso man von den großartigen Schriften eigentlich nichts mehr hat (oder „nur“ noch in Übersetzung von arabischen Abschriften). Richtig los ging es dann aber erst mit der Abwertung einer dunklen Mitte im 19. Jahrhundert. Da mischte die Romantik und Klassik stark mit. Die Antike war das A und O, das Mittelalter unbelesen, dumm und dreckig. Und jetzt, jetzt war man wieder erwacht und konnte an der glorreichen Zeit VOR der dunklen Mitte anknüpfen. Die war sowieso ewig gestrig, noch für romantische Geschichten gut und als katholisch entweder ein Sehnsuchtsort oder etwas, was man schnell los werden wollte.
Das geographische Mittelalter
Wer hier in Deutschland vom Mittelalter spricht, meint einen bestimmten Zeitraum in einer bestimmten Region der Welt. Und das ist die (nach heutiger Ortung) italienisch, französisch, deutsch, britische Region. Der Schwerpunkt liegt eben auf den fränkischen Reichen (ja, mehrere, die teilen sich noch) und seine Nachfolger mit Kontakten nach aussen, als da wären Skandinavien (Die Wikinger! Kommt nächstes mal dran.) und natürlich Byzanz (aka Konstantinopel, heißt heute Istanbul) und die orthodoxe Christenheit.
Andere Länder spielen bei unserem Blick auf „das Mittelalter“ kleine Nebenrollen oder gar keine. Außer natürlich wir fragen „Was war los in der Welt 1045?“ Und das ist mega spannend und gesund für unseren eurozentrischen Blickwinkel. Tun wir mit „das Mittelalter“ nur aber nicht. So lange wir das aber im Kopf haben, ist das auch ok.
Fun fact: Manch andere Länder haben auch Mittelalter. Die sind dann eben nur wann anders und definieren sich natürlich nach ihrer je eigenen Epocheneinteilung.
Abgrenzung durch Zugehörigkeit
Abgrenzen kann man beim Thema Mittelalter auch andere Zugehörigkeiten. Allen voran religiöse. Irgendwie wird die Zeit ja hauptsächlich christlich gedacht. Oft genug im Streit zwischen Christen. Juden werden irgendwie noch mitgedacht wenn man sich an Pogrome erinnert, ihr kultureller Beitrag und Anteil an der Entwicklung fällt oft genug hinten runter. Muslime kommen gedanklich irgendwie nur bei Kreuzzügen vor, vielleicht noch, wenn sie angreifen. Dabei herrschten sie z.B bis ins 11. Jahrhundert auf Sizilien. Das liegt vor Italien und ist jetzt eigentlich irgendwie schon geografisch Teil unserer Mittelalterdefinition.
Eine weitere Ab- oder besser Begrenzung entsteht auch durch die Quellen. Was haben wir heute an Wissen über die Zeit und wer hat das warum geschrieben? Denn die Idee einer „Geschichte von unten“, also vom Volk aus, ist eine neuere und für das Mittelalter auch nicht anwendbare. Geschrieben hat der Klerus, Auftraggeber waren Adelige. Später kamen Handelsregister hinzu. Alltagstexte gibt es keine. Überliefert ist, was wichtig war. Damals. Und das war oftmals die Legitimation von Macht. Warum bin ich hier und jetzt im rechtmäßigen Besitz von Macht? Wer legitimiert mich, also wer sind meine Vorfahren? Was gehört mir alles? Wie toll bin ich? Mittelalterliches „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ also.
Woher bekommen wir unser Wissen?
Wir haben also viele Urkunden und Stammbäume. Wir haben schriftlich festgelegten Besitz und natürlich religiöse Schriften. Am aufschlussreichsten sind Chroniken und Annalen. Also rückblickende Jahresberichte und Erzählungen über das Leben bestimmter Leute. Meist derjenigen die das Werk in Auftrag gaben oder für die es als Geschenk diente. Sie ermöglichen einen kleinen Blick in eine andere Zeit. Gleichzeitig sind sie ganz klar aus bestimmten Gründen erstellt worden, sollen den adeligen Auftraggeber gut darstellen oder seine Macht legitimieren. Vom Leben als Bauern oder Tagelöhner lesen wir nichts. Einzig Listen mit Abgaben oder aber Kirchenbücher (Geburt, Taufe, Ehe, Tod) geben da einen winzigen Einblick. Wir haben also eine massiv beengte Sicht auf „die Reichen und Schönen“ des Mittelalters. Vermutlich liegen wir öfter daneben, als uns lieb ist.
Es gibt außerhalb des geografischen Rahmens natürlich auch Quellen, die einen Blick auf Regionen oder Herrschaftshäuser preisgeben. Arabische Reisende, Vertriebene und Gelehrte hinterließen zum Beispiel Beschreibungen und Erklärungen der Welt. Natürlich sind auch diese nicht neutral. Sei dienten genau so Zwecken wie die christlichen Quellen. Aber sie bieten eine Möglichkeit, eine andere Deutung zu lesen und beide Seiten zusammen zu fügen. Doch noch viel zu oft wird nur der innerchristliche Blick auf Ereignisse untersucht, sei es einem sehr eurozentrischen Blick oder fehlenden Übersetzungen geschuldet.
Was passierte denn so im Mittelalter?
Ich komm schon wieder ins reden. Also höre ich mal mit der Abgrenzung auf. Denn ich wollte noch den Faden „dunkel, Pest, Hexen, Ritter …“ aufheben vom Anfang und natürlich was dazu sagen, warum z.B. Klothilde, Ehefrau von Chlodwig I. (das denke ich mir nicht aus, ich schwöre!) nicht dachte in einer mittleren Zeit zu leben sondern wenn, dann am Ende aller Zeiten.
Fangen wir mit dem Faden an. Pauschal das Mittelalter mit Begriffen zu definieren greift bei einer Zeitspanne von 1000 Jahren viel zu kurz. Sind wir uns da einig? Würde ja auch keiner behaupten, wir stünden 2021 nicht viel anders da als noch 1789. Natürlich kann man – der fairnesshalber füge ich das ein – die Zeit unter solchen Aspekten wie Rittertum, Frauen, Christentum …, untersuchen. Dann wird es aber wissenschaftlich, und man muss Fragen nach bestimmten Entwicklungen folgen oder Vergleiche ziehen.
Eintönig war das Mittelalter jedenfalls nicht.
Es ist ganz schön viel passiert. Und weil euch das am Ende mega langweilen würde, wenn ich weiter so viel schreibe, liste ich einfach einiges auf. Unvollständig und zeitlich nicht stringent. Entschuldigt.
- Karl der Große
- Fränkisches Reich
- Christianisierung der Sachsen
- Bildungs- und Währungsreform
- Kontakt Frankenreich nach Bagdad
- Die Wikinger kommen und bleiben
- Herrschen per Reisekönigtum
- Ottonisches Reich
- Reichskirchentum
- adeliger Machtausbau durch Ernennung von Äbten und Äbtissinnen
- diverse Kreuzzüge
- Erbauung des Danewerk (Schutzwall der Dänen)
- Handel mit Skandinavien
- Kontakt in den Osten durch Fernhandelsstraßen
- Großes Schisma (Spaltung von orthodoxer und römischer Kirche)
- Entwicklung und Vermehrung der Städte
- Dänen herrschen in England
- Aufschwung Handel/Zünfte/Gilden
- Investiturstreit/Gang nach Canossa
- Hildegard von Bingen
- Drei Felder Wirtschaft
- Die Mongolen kommen
- Universitäten entstehen
- Bauernaufstände
- Rittertum, Einführung von zB Steigbügeln
- Normannen erobern England
- Heiliges Römisches Reich
- Hungersnöte
- Mittelalterliche Warmzeit
- Beginn kleine Eiszeit
- Auf Sizilien lösen die christlichen Normannen die muslimischen Herrscher ab
- Großes abendländisches Schisma (innerhalb der lat. Kirche, zwei Päpste)
- Reconquista auf der iberischen Halbinsel
- Jeanne d’Arc
- Mehrfache Sichtung des Halleyschen Kometen inkl Deutungen
- Hundertjähriger Krieg zwischen Frankreich und England
- Die Pest wütet
- Seefahrer gehen auf Suche nach neuen Seewegen
- Gutenberg und Buchdruck
- Entstehung der Hanse
- Bürgertum
- Kopernikus
- Reformation
Das Ende naht!
In zweierlei Hinsicht. Denn ich komme tatsächlich jetzt zum Ende. Aber das Ende nahte auch für die christlichen Menschen in unserem definierten Mittelalter. Fachsprachlich heißt das eschatologisches Weltbild. Müsst ihr euch merken und dann klugschwätzen bei Gelegenheit. Eschatologie heißt eigentlich nur „die Lehre von den letzten Dingen“ und ein solches Weltbild meint, dass die Leute davon ausgingen, dass die Wiederkunft des Herren und damit das Ende der Welt bald kommen wird. Also die Christen, nicht alle. Muslime und Juden dachten das eher nicht, bzw nicht so.
Aber warum? Kompliziert. Am Ende geht’s beim Ende um die Apokalypse, v.a. die des Johannes. Zuerst ging man davon aus, dass nach einem tausendjährigen Friedensreich die Welt zu ende geht, Auftritt Antichrist und das Jüngste Gericht. Nach 1000 Jahren Christentum passierte – nichts. Dennoch hielt sich die Vorstellung am Ende der Zeit zu leben und viele Ereignisse (z.B. Kometen, Bedrohung durch die Mongolen) wurden als Zeichen gedeutet. Und selbst wenn dann doch kein Ende naht, darauf vorbereitet sein ist alles. Was ein vorbildlich christliches Leben und Mission abverlangt.
Bevor wir darüber abfällig den Kopf schütteln sei erinnert, dass wir Endzeitprognosen auch heute noch kennen. Zugegeben eher wirre, aber trotz Aufklärung und Fortschritt, wir Menschen ticken halt doch teilweise seltsam. Und dass das Ende quasi nah ist, hinderte niemanden daran, weiter zu leben, sich fortzupflanzen, nach Macht und Reichtum zu streben oder auch ganz einfach nur zu Überleben. Im Gegensatz zum Klerus war dem Landvolk vermutlich das Ende der Welt eher egal. Zumindest für den Moment. Es reichte, ein gutes christliches Leben zu führen um eben für das Jüngste Gericht gewappnet zu sein. Mehr war eh nicht drin.
Nächste Folge: #allesGeschichte | Die Wikinger
Quellen: Johannes Fried: Das Mittelalter / Valentin Groebner: Das Mittelalter hört nicht auf
3 Comments
Wow. 👍 was für ein spannender Anfang. „Mittelalter“ mal ganz locker nahe gebracht. Ich für meinen Teil hätte gern noch mehr darüber von dir gelesen. War nämlich überhaupt nicht zu lang erzählt oder zu weit ausgeholt. ☺ Ich freu mich auf den nächsten Teil. Babs
Das kommt ja dann in den Einzelthemen. Erstmal ein Überblick, dann Details. Soll man sich ja auch merken können.
Danke für deine Arbeit.Super zu lesen der Text und dazu gelernt hab ich auch. Mach gerne weiter, ich freu mich schon auf die Wikinger. LG Henriette