#allesGeschichte | Das Mittelalter
#allesGeschichte | Das Ende der Zeit
Die Wikinger – „Wir sind gekommen um zu bleiben.“ So könnte die Überschrift lauten für die Zeit vom 9. bis 12. Jahrhundert, die geprägt war von normannischer (= Name für die Wikinger im Frankenreich) Expansion. Glaubt ihr nicht? Das waren doch alles raue Gesellen die raubend und brandschatzend rumfuhren und ansonsten nichts gutes zustande brachten. Die kamen und gingen, wie es ihnen passte, schnell und unbarmherzig. Neben einer romantischen Vorstellung freier nordischer Völker ist das ja tatsächlich unser heutiges Bild von denen, die man Nordmänner, Normannen, Wikinger oder Waräger nennt. Doch, wie könnte es anders sein, so einfach ist das nicht.
Klar, die Anfänge waren ganz eindeutig: Rauf aufs Boot, übers Meer, die Flüsse runter, rauben und weg. Reichtum heim bringen. Ehre erlangen. Vermutlich so in der Art. Die genauen Beweggründe weiß man nicht, weil: Die Wikinger (Dänen, Schweden und Norweger) haben nichts aufgeschrieben über ihre Beweggründe. Was wir wissen stammt alles aus Texten der Opfer. Und was kann ein fränkischer Mönch im 8. und 9. Jahrhundert nach einer Plünderung schon gutes sagen?
Auftauchen, plündern und weg
Und gut ist Rauben, Brandschatzen oder Geiselnahme natürlich auch nicht. London, Paris, Hamburg, Aachen, Mainz, Bonn … kaum eine Stadt war sicher. Verteidigung? Fehlanzeige. Während die Wikinger schnell kommen und gehen, müssen die fränkischen Adeligen erstmal ihre Leute zusammen rufen – ein stehendes Heer gab es nicht. Gleichzeitig mochte man sich untereinander oft nicht, so dass Hilfe verweigert oder hinausgezögert wurde. Klarer Vorteil für die Wikinger. Übrigens: Je instabiler die politische Lage im fränkischen Reich, desto mehr Angriffe. Schlau, schlau. DIE Wikinger gab es eh nicht, denn es waren unabhängige Zusammenschlüsse, die gemeinsam auf Raubzug gingen.
Irgendwann dann fuhren die Wikinger nicht mehr unbedingt heim. Sie schlugen ihre Winterlager auf. Mitten im fränkischen Reichsgebiet. Trieben Handel mit den umliegenden Ortschaften (die davon profitierten) und zogen frühjahrs wieder los, woanders plündern. Hätte da nicht militärisch was gehen können? Irgendwem hat doch die Gegend gehört, wo die Wikinger ihr Lager aufschlugen. Klar. Hätte, hätte, Fahrradkette. Das wurde ab und an auch getan, doch meistens war jeder sich selbst der Nächste und machte folgende Rechnung auf: Wenn die hier lagern, plündern sie woanders. Bei meinem Nachbarn. Den mag ich eh nicht. Win win Situation. Im Zweifel kann man ja auch noch was aushandeln, dann plündern und morden sie per Vertrag nebenan. Ach du einige Christenheit. Nicht.
Können die noch was anderes als plündern und rauben?
Die skandinavischen Seefahrer waren aber nicht nur plündernd und raubend unterwegs. Sie erkundeten die Küste Nordamerikas, besetzten Teile Englands und gründeten das Danelag, einen dänisch besetzten Teil in England. Sie besiedelten die nordatlantischen Inseln, besiedelten die Normandie und gründeten als „Rus“ (= rothaarige) das Reich Kiew. Außerdem trieben sie Handel mit Waren und Menschen. Nicht nur direkt im fränkischen Reich oder in bedeutenden Handelsstädten wie Haithabu im heutigen Schleswig-Holstein. Sondern bis nach Byzanz und ans schwarze Meer. In Byzanz stellten sie auch noch die Leibgarde des Kaisers. Ihre Nachfahren übernahmen dann die Macht in England, in Süditalien und auf Sizilien.
Damit kann man fast sagen, dass sie die ersten „global player“ im Mittelalter waren. Überall dabei und langfristig auch erfolgreich. Zumindest teilweise. Ihr Erfolgsrezept ist vermutlich das, was wir heute Pragmatismus nennen würden. Gelegenheiten erkennen, Anpassung soweit nötig, Macht erlangen, selbst gestalten.
Zeit zu bleiben
Irgendwann war das „kommen, rauben, gehen“-Konzept nicht mehr so interessant. Es gab vermutlich Bedarf an neuem Landbesitz. Daher war es wohl lukrativ, auf Angebote ihrer Opfer einzugehen, die sich einen neuen Plan ausgedacht haben. Sie boten Gruppen von Wikingern Land an der Küste an mit der Hoffnung, das diese dann andere Plünderer fernhalten würden. Eine Weile lief das nicht so gut, man plünderte trotzdem, lies andere rein, wurde vertrieben… aber mit Rollo änderte sich die Geschichte im Jahr 911. Denn der bekam – gegen Taufe und Treueeid – von Karl dem III. das Gebiet, was wir heute Normandie nennen. Normandie – Normannen – Nordmannen – Nordmänner. Ihr seht die Verbindung. Auch hier bleiben die Anfänge ruppig, aber Stück für Stück passten sich die Normannen an, bauten ihre Macht aus und wurden zur Konstante.
Andere Wikinger fuhren den Don und die Wolga gen Osten runter und gründeten dort Siedlungen wie Nowgorod oder Kiew und begründeten als sogenannte Rus das Reich Kiew. Andere wiederum, ich schrieb es ja schon, machten Karriere am kaiserlichen Hof in Byzanz. So richtig den Zahn gezogen bekamen die Skandinavier dann mit der Christianisierung. Jetzt war man sich meist einig und kämpfte gemeinsam mit ehemaligen Feinden gegen „Ungläubige“ auf Kreuzzügen oder in Sizilien. Oder aber leistete sich die üblichen Machtkämpfe mit den Nachbarn wie es unter Christen gang und gebe war.
Normannische Nachfolger
Zurück zu den Normannen/Wikingern der Normandie. Die sind wirklich gekommen um zu bleiben. Seit 911 gehört ihnen das Land. Sie expandierten nach ihrer Christianisierung trotzdem fröhlich vor sich hin, legten sich mit anderen an und stellten am Ende auch noch den englischen König. Denn niemand anders als der Normanne Wilhelm der Eroberer zog 1066 über den Kanal nach England und gewann bei Hastings den Kampf um die Krone. Es erklärte sich nämlich einfach Harald II. zum König, obwohl doch der englische König Eduard der Bekenner Wilhelm die Krone versprochen hatte. Geht ja gar nicht! Sehr anschaulich kann man die Geschiche heute noch auf dem ca 1080 entstandenen Teppich von Bayeux sehen. Wenn ihr jemals in der Normandie seid, besucht das Museum in Bayeux. Es ist wirklich spannend.
Außerdem zog es mehrere Normannen aus der Normandie in den Süden. Als Händler, Pilger und Kreuzfahrer kamen sie nach Italien und von dort aus (neben Byzanz und Jerusalem) auch nach Sizilien, dass sie eroberten, die muslimischen Herrscher vertrieben und das Königreich Sizilien gründeten. Unter normannischer Herrschaft hielt es bis 1194. Dann ging es an die Staufer.
Dieses normannische Königreich findet in der Forschung immer wieder Beachtung, weil hier Muslime, Juden, griechische und lateinische Christen zusammenlebten. Mancher lässt sich da gerne zur Therorie der Toleranz hinreißen. Die normannischen Herrscher müssen doch tolerant sein, wenn unter ihnen Muslime hohe Ämter bekleiden. Die Wahrheit ist aber auch hier der Pragmatismus. Man muss nehmen, was man bekommt als kleine Gruppe Eroberer. Pragmatismus ist daher wohl der ausschlaggebene Punkt für den Erfolg. Sowohl beim Zusammenleben mit anderen, als auch bei der Annahme eines neuen Glaubens (ein Gott mehr oder weniger, was soll’s) gegen Land. Wenn es lohnt, macht man es. Und holt das beste für sich selbst raus.
Quelle: Alheydis Plassmann: Die Normannen und Lexikon des Mittelalters