Muss man sich ein nachhaltiges Leben leisten können?
Europawahl kurz erklärt
Heute geht es ums Naseputzen. Seid ihr auch so Schnupfennasen im Winter? Oder gar von Heuschnupfen geplagt? Dann habt ihr sicher einen guten Vorrat an Taschentüchern im Haus. Das diese nun leider nicht wirklich nachhaltig sind, leuchtet schnell ein:
- für die Herstellung von Papiertaschentüchern benötigt man viele Ressourcen: Holz, Wasser, Energie.
- Die Papierfasern stammen fast nie aus heimischen Hölzern, sondern werden importiert, zB aus Südamerika (Quelle: zB. Verbraucherzentrale). Was das für die CO2 Bilanz und die Arbeitsbedingungen bedeutet, kann man sich denken.
- Damit die Taschentücher schön weiß (=hygienisch) aussehen, muss der Zellstoff mit Chemie, tlw. mit Chlor gebleicht werden.
- Taschentücher kommen in einer praktischen kleinen Packung, welche zusammen mit anderen kleinen Packungen in einer großen Umverpackung zu kaufen sind. Alle diese Umverpackungen bestehen aus Plastik.
Zahlen und Fakten rund ums Tachentuch
Wir Deutschen haben in Sachen Papier einen Gesamtverbrauch von ca 23 Millionen Tonnen (Stand 2010) und sind laut Greenpeace damit einer der größten Papierkonsumenten weltweit. Durchschnittlich verbraucht jede/r von uns also jährlich 242 Kilogramm Papier!
Ein Teil dieses Papierberbrauchs sind unsere Taschentücher. Traut man statista.com, kommen wir auf einen Pro-Kopf-Verbrauch von durchschnittlich 1,6kg Taschentücher jährlich! Denn schließlich sind Taschentücher ein klassisches Einmalprodukt. Nicht wirklich nachhaltig.
Nun soll weder jeder die Nase hochziehen noch gar den Ärmel benutzen wie zu Kinderzeiten. Denn zum Glück gibt es sie, die besseren Alternativen.
Recyclingpapier verwenden
Der leichteste Schritt ist, statt Frischpapier zu Recyclingpapier zu wechseln. Natürlich sind diese Tücher nicht extra super soft oder riechen nach irgendeinem künstlichen Duft. Aber sie erfüllen ihren Zweck 100% und sind auch schon lange nicht mehr rau und unangenehm.
Das Umweltbundesamt und auch die Verbraucherzentrale raten dazu, auf den Blauen Engel als Siegel zu achten, da dieser garantiert, dass
„Papierfasern zu 100 Prozent aus Altpapier gewonnen werden und keine gefährlichen Chemikalien eingesetzt werden. Andere Produktkennzeichnungen wie FSC- oder PEFC-Label oder die Bezeichnung „Chlorfrei gebleicht“ sind bei Papierprodukten aus Umweltsicht weniger hilfreich … Im ökologischen Vergleich schneiden Papierprodukte aus Altpapier gegenüber Papierprodukten aus Holzfasern im Hinblick auf Ressourcenverbrauch, Abwasserbelastung, Wasser- und Energieverbrauch wesentlich günstiger ab: Holzeinsparung von bis zu 2,4 Kilogramm pro Kilogramm Papier, Energieeinsparung etwa 50 Prozent, Wassereinsparung rund 67 Prozent.“
Quelle: Umweltbundesamt
Die Taschentuchbox
Um die Plastikumverpackung zu vermeiden, können Taschentücher auch in Boxen gekauft werden. Diese gibt es auch mit Recyclingpapiertaschentüchern und sie sind ungleich kostengünstiger als die handlich verpackten. Das sie eben nicht mehr handlich verpackt sind, ist allerdings ein kleiner Nachteil. Allerdings spricht ja nichts dagegen, einige Tücher aus der Box zu ziehen und in einem kleinen Beutel oder der Tasche mitzuführen. Eine Box aus 100% Papier ohne irgendwelche Plastikfolie habe ich bisher nur im Bioladen und beim Rossmann gefunden, wie es in anderen Drogeriemärkten aussieht, weiß ich leider nicht. Man muss genau hinschauen, denn oft ist die Öffnung der Box mit Folie beklebt.
Recyclingpapier zu verwenden ist immer ein guter Schritt. Da es inzwischen in fast allen Supermärkten und Drogerien Produkte ohne Frischholz gibt, ist es auch ein sehr leichter Schritt, man muss nur zu einem anderen Produkt greifen. Um Recourcen zu schonen und weniger Müll zu produzieren, sollte man dabei meiner Meinung nach aber nicht lange stehen bleiben, sondern zum nächsten Schritt übergehen.
Machs wie Oma: Stofftaschentücher
Derzeit ist es ja hoch modern: Retro. Back to Oma und Opa. Egal ob in Küche, Wohnzimmer oder Kleiderschrank. Jetzt sind Dinge von „früher“ ja nicht pauschal immer gut. Aber manch vergessenes oder verdrängtes eben doch. Das Stofftaschentuch zum Beispiel.
Es funktioniert genau wie sein Einmalprodukt-Verwandter, hält aber viel länger, vermutlich sogar ein Nasenleben lang. Die Vorteile liegen auf der Hand:
- Man hat immer welche da (vorausgesetzt, man besitzt eine ausreichende Menge).
- Es entsteht kein Müll und keine Abholzung.
- Die Herstellung von Stofftaschentüchern aus Baumwolle hat zwar eine schlechtere Ökobilanz als ein Papiertaschentuch, diese verlagert sich aber aufgrund der Lebensdauer wieder zu Gunsten des Stofftaschentuchs. (Quelle: Utopia)
- Beim mitwaschen in der Hosentasche erlebt man nach der Wäsche keine böse Überraschung mehr.
- Die Nase wird viel seltener wund.
- Es ist unschlagbar günstig (auf Lebenszeit berechnet)
Was natürlich nicht bedeutet, dass Stofftaschentücher überhaupt keine Ressourcen verbrauchen. Baumwolle (oder Hanf) muss angebaut, bewässert, zu Stoff verarbeitet werden. Handelt es sich dabei nicht um zertifizierte Biobaumwolle, kann davon ausgegangen werden, dass Chemiemittel eingesetzt wurden. Zudem hängt natürlich auch hier eine ganze Fertigungsreihe mit dran: Arbeitsbedingungen, Löhne, Transportkosten (schon die Baumwolle muss erstmal importiert werden).
Ein paar Tipps zu Stofftaschentüchern
Die Lösung: Der Kauf von Taschentüchern aus zertifizierte Baumwolle, produziert unter fairen Bedingungen. Das muss man sich nun aber auch erstmal leisten können und wollen. Ehrlicherweise muss man ja sagen: Taschentücher haben wenig Charme und hinzu kommt, dass man auch noch eine gute Anzahl braucht um nicht sofort waschen zu müssen. Daher tut viel Geld ausgeben hier eventluell arg weh.
Wer diese Kosten vermeiden möchte, kann zu zwei weiteren Möglichkeiten greifen:
- Stofftaschentücher second hand kaufen. Sind sie erstmal heiß gewaschen, sind alle Keime hinüber. Es besteht also keine Gefahr.
- Stofftaschentücher selber nähen, zB aus alter Bettwäsche oder Tshirts. Das ist zwar eine eher langweilige Arbeit, aber schon mit einer einfachen Haushaltsmaschine lässt sich recht zügig ein Taschentuch herstellen. Die besten Maße sind meiner Meinung nach übrigens ca. 20x20cm.
Beide Wege haben klare Vorteile: Die Beschaffung ist günstig und es werden keine neuen Ressourcen verbraucht. Denn der Stoff ist ja schon vorhanden.
Wichtig ist, dass in die Ökobilanz bei Stofftaschentüchern natürlich auch noch der Waschvorgang nach Gebrauch mit einberechnet werden muss! Wer sieben Taschentücher bei 90 Grad wäscht und dann noch in den Trockner schmeißt, der hat natürlich wenig gewonnen. Deswegen hier ein paar Tips zum richtigen Nutzen und Waschen:
- Stofftaschentücher immer nur so lange nutzen, wie man auch Papiertaschentücher nutzen würde.
- Wer benutzte Taschentücher nicht anfassen will (zB weil es die von der Partnerin sind), der sammle alle Tücher in einem Wäschebeutel und schmeiße diesen dann gesammelt in die Maschine.
- Nur volle Maschinen waschen – Taschentücher können problemlos mit zu den Hand- und Geschirrtüchern.
- Eine Waschtemperatur bei 60 Grad ist laut BZgA ausreichend um die Tücher wieder sauber und keimfrei zu bekommen.
- Mit ökologisch vertretbarem Waschmittel waschen.
- Lufttrocknen
- bügeln vermeinden (= Energieverbrauch), knittert ja eh wieder
Nachhaltigkeit ohne Dogmatismus
Ich habe vor einigen Monaten aus unserer alten Bettwäsche unzählige Taschentücher hergestellt und verwende diese seitdem. Inzwischen hatte ich schon den ersten Schnupfen und muss sagen: Meine Nase war nicht einmal wund, und das obwohl ich echt oft schnäuzen musste.
Nun gibt es ja aber Situationen, in denen ist ein Stofftaschentuch eher suboptimal. Zum Beispiel bei Besuch. Ich jedenfalls möchte jetzt nicht wirklich die Rotze anderer Menschen waschen (Familie ausgenommen). Oder aber, wenn es einen so richtig erwischt hat und das, was aus der Nase kommt jenseits von gut und böse ist. Hier scheiden sich nämlich die Geister, ob diese Keime wirklich in ein Stofftaschentuch gehören oder ob nicht was zum wegwerfen besser wäre.
Ich für meinen Teil habe daher entschieden, dass farblich anspruchsvoller Schnupfen nach oder während einer richtigen, schweren Krankheit (zB Grippe) definitiv ein Fall fürs Papiertaschentuch ist. Sicher ist sicher. Und dass ich deshalb (und wegen eventueller Gäste) immer einen Vorrat dieser Altpapier Taschentücher aus der Box daheim habe.
Damit fahren wir hier ganz gut, glaube ich. Maximale Reduzierung des Mülls bei gleichzeitigem Verzicht auf Dogmatik. Und ich gebe meinem Mann und vor allem meinen Kindern so die Chance, selbst zu enscheiden, ob sie wie ich auf ein Stofftaschentuch umschwenken, oder doch lieber eines zum wegwerfen hernehmen. Das ist mir sehr wichtig, denn Überzeugungen kann man nicht aufzwingen, man kann sie nur vorleben. Sonst halten sie nicht lange vor.
2 Comments
Ich habe gerade darüber nachgedacht, ob ich mir tatsächlich ein paar Tücher nähe. Wenn ich meine Fahrradschnupfennase trocknen muss, dann fahre ich damit sicherlich besser. Während eines Schnupfens, stelle ich es mir allerdings nicht besonders schön vor, die Tücher waschen zu müssen.
Ich habe gar nicht gewusst, wieviel Taschentücher wir verbrauchen.
Danke, für diesen Post
Andrea
Hallo Andrea
Du könntest es ja mal probieren. Ich finde es nicht schlimm, Taschentücher zu waschen. Sie sind ja nicht triefend, wenn ich sie in die Wäsche werfe und am Ende des Tages wasche ich ja auch Unterhosen und die Socken meiner Kinder. Viel unangenehmer kanns nicht werden. 😀
LG Janine