[Engagagier dich!] Weil Lebensmittel retten politisch ist
[Engagagier dich!] Engagement und Familie
Ich freue mich sehr, Julia für meine Interviews gewonnen zu haben. Denn sie ist wirklich ein Multitalent. Erstmals getroffen (ganz inkognito meinerseits) habe ich sie mitten in Action bei einer Veranstaltung in München zum Thema Plastikmüll. Dort war sie u.a. auch mit ihrem Projekt Coffee to go again anwesend. Dass ich sie später dank unserer beider Engagement noch mal wiedertreffen würde, wusste ich da noch nicht. Erstmal folgte nur ein „follow“ bei Instagram. Inzwischen weiß ich, Julia macht viel. Viel krass tolle Sachen: neben dem Kaffeebecherprojekt bloggt und berät sie beispielsweise auf openyourwindow und hat außerdem ihren eigenen Podcast „Frauenlobby“. Aber das ist noch nicht alles … Lest selbst.
Hallo Julia. Stell dich doch bitte kurz vor. Wieviel Zeit hast du zur Verfügung? Und ist dir der Hang zum Engagement schon in die Wiege gelegt worden?
Mein Name ist Julia Post, 30 Jahre auf dieser Welt, und seit drei Jahren Sozialunternehmerin. Ich habe deshalb zwar nicht so viel Zeit, kann mir die Zeit dafür aber eigenständig einteilen. Das ist für mein Engagement eine wichtige Voraussetzung, da vieles dann stattfindet, wenn viele Menschen normalerweise arbeiten. Andererseits trägt es enorm zu dieser viel besagten „Entgrenzung der Arbeit“ bei. Aber 2020 wird bestimmt alles besser 🙂 Das Engagement nimmt in meinem Leben sehr viel Raum ein, ich achte aber sehr darauf, meine Familie und Freundeskreis deshalb nicht zu vernachlässigen. Das ist für mich ein ganz wichtiger Rückzugs- und Kraftort. Was mir in die Wiege gelegt wurde, war in der Tat das Interesse für gesellschaftliche Themen und „die großen Fragen der Menschheit“. Allerdings habe ich nicht so richtig erfahren, wo man denn jetzt konkret mitmachen kann, diesen Weg habe ich dann für mich selbst entdeckt.
Wo engagierst du dich und wie bist du überhaupt zu deinem Engagement gekommen?
Insgesamt habe ich drei Ehrenämter. Ich bin Vorstandsmitglied bei den Grünen in München, im Netzwerk Klimaherbst e.V. und beim Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V.
Wie ich dazu kam? Das hat sich alles mit der Zeit entwickelt. Der Ursprung liegt in einem Projekt, das ich 2015 zur Reduzierung von Einwegbechern ins Leben gerufen hatte. Das war eine sehr spontane Aktion, die ich ohne Vorkenntnisse gestartet habe und einfach mal losgelegt habe. Ohne eine Idee davon, wie viel Arbeit so etwas machen kann. So kam ich in Kontakt mit Menschen bei den Grünen und in der Münchner Zivilgesellschaft. Und durch meine Crowdfunding-Kampagne für das Projekt habe ich das Thema Social Entrepreneurship kennengelernt und bin in diese Community eingetaucht. Bei allem war der Schlüssel dazu: Die Menschen, die ich dort kennengelernt habe. Mit ihnen geht man eine ganz besondere Verbindung ein. Man teilt die Leidenschaft für ein Thema. Ich erlebe (und durchlebe!) viele gemeinsame Situationen. Etwas, das ich übrigens im Freundeskreis zunehmend vermisse, wenn „jeder seinen eigenen Weg geht“. Und für alle meine drei Vorstandsämter wurde ich dann von diesen wunderbaren Menschen direkt gefragt, ob ich nicht kandidieren möchte. Das ist in der Tat ein sehr effektives Mittel zur Nachwuchsförderung, bestätigt auch die Wissenschaft: Menschen engagieren sich weil sie es können, weil sie es wollen oder weil sie jemand gefragt hat.
Wie viel Aufwand ist das eigentlich? Braucht man dafür nicht viel Zeit?
Da will ich nichts beschönigen. Es nimmt verdammt viel Zeit in Anspruch. Ich bin mittlerweile selbständig und kann daher als Organisationstalent mich und meine Zeit damit ganz gut managen. Aber ich habe neben meinem Vollzeitjob nochmal ein Vollzeitehrenamt und damit locker eine 70-80 Stunden-Woche. Gut, gleich drei Ehrenämter auf einmal, ich habe es vielleicht ein bisschen übertrieben 🙂 Aber meine Erfahrung ist: Ich bin damit nicht alleine. Engagement wirkt wie ein Sog. Viele Ehrenamtliche um mich herum haben gleich mehrere Ehrenämter auf einmal. Das ist einerseits natürlich ein echter Vorteil, weil so sprichwörtlich ein Netzwerk entsteht und man Themen in verschiedene Gruppen hineinträgt und so auch Synergieeffekte entstehen. Andererseits müssen wir schon alle gut auf uns aufpassen.
Braucht man für das, was du tust bestimmte Voraussetzungen?
Nein. Jeder und jede kann mitmachen. Was man noch nicht kann oder weiß, das lernt man. Die Menschen, auf die Du dort treffen wirst, werden Dich dabei unterstützen.
Was fehlt ganz besonders, wenn du an dein oder allgemein an Engagement denkst?
Ich finde, wir werden für Engagement in der Schule viel zu wenig sensibilisiert. Ich war auf dem Kurt-Huber-Gymnasium, ein Widerstandskämpfer der Weißen Rose. Natürlich wurde uns dort viel vermittelt, wie wichtig es ist, sich für etwas einzusetzen. Aber das passiert häufig abstrakt und in der Rückschau. Ich hätte es toll gefunden, wenn mal der Satz gefallen wäre: „Und Du kannst auch etwas für unsere Gesellschaft tun“. Und man konkrete Themen in unserer Welt und im Jetzt diskutiert hätte. So dass man als Mensch viel mehr eine Verbindung herstellt und sich angesprochen fühlt. Und politische Bildung kommt sowieso viel zu kurz!
Ein weiterer Punkt: Ich erlebe Engagement als sehr zeitintensiv. Gerade im politischen Bereich wissen wir aus der Wissenschaft auch, dass sich daher vor allem „ressourcenstarke“, also privilegierte, Menschen engagieren. Das ist für die Demokratie natürlich schlecht, weil nicht alle Menschen angemessen repräsentiert werden.
Würdest du sagen, das Engagement hat dich verändert? Bist du ernüchtert? Oder fühlst du dich bereichert?
Ich gebe zu, es klingt total kitschig, aber ja, mein ehrenamtliches Engagement hat mein Leben verändert. Ich habe dadurch die eigene Wirkmächtigkeit erfahren. Es ist unglaublich, was man als einzelner Mensch oder gar als Gruppe bewirken kann. Ich gehe ganz anders durch die Welt und betrachte (historische) Errungenschaften wie das Frauenwahlrecht oder den Ausstieg aus der Atomkraft in Deutschland mit ganz anderen Augen: Wie viel Kraftanstrengungen von so vielen Menschen dafür notwendig war. Über Jahrzehnte, teilweise sogar Jahrhunderte! Das macht demütig und sorgt bei mir für Verständnis, dass Veränderungen nun mal Zeit brauchen — auch wenn ich bei vielen Punkten natürlich eine große Ungeduld verspüre.
Und es ist eine unglaubliche Motivation für mich, selbst an Dingen dranzubleiben. Auch Du und ich werden für diese Umwälzungen gebraucht. Und diese Motivation und Wirkmächtigkeit, das Verbinden in Netzwerken und Communities, das hat natürlich auch Auswirkungen auf mich als Person und meine Lebensweise. Beispielsweise habe ich mich vor drei Jahren selbständig gemacht. Ich glaube, ohne diese Erfahrungen vorab in meinem Ehrenamt, hätte ich diesen Sprung nicht gewagt. Und interessanterweise bin ich optimistischer geworden, weil ich erfahren habe, dass man Dinge tatsächlich verändern kann. Natürlich habe ich dort auch viele Kompetenzen erworben, die mir weiterhelfen: Auf Menschen zugehen, Projektmanagement, und ganz Praktisches wie ich eine Homepage erstelle oder einen Podcast aufzeichne und schneide. Und ich erfahre in meinem Leben vor allem Sinnhaftigkeit. Das ist ein toller Rahmen für mein Sein.
Vervollständige bitte folgenden Satz: Engagement ist wichtig, weil …
… ich mich dadurch als Teil eines größeren Ganze empfinde und so Sinnhaftigkeit, aber auch Verantwortung erfahre.
Liebe Julia, hab vielen Dank für das Interview. Ich freue mich auf weitere Treffen zu politischen Themen und drücke dir vor allem jetzt die Daumen für die kommende Kommunalwahl.