Interview mit Martin Balas über Tourismus und Nachhaltigkeit
Bahn fahren. Tipps zum ökologischen Reisen
Wir Menschen in den Industrienationen fliegen um die Wette. Dienstlich und Privat. Kurz- und Langstrecke. Wer sich den aktuellen Flugverkehr mal vor Augen führen möchte: flightradar24
Da kommt die Idee, unsere Flugemissionen zu kompensieren gerade recht. Ein kleiner oder größerer Obulus für ein Klimaprojekt und das Gewissen ist beruhigt. Man hört die Ironie? Andererseits: Viele Umwelteinrichtungen raten zur Kompensation. Denn besser als zu fliegen ohne Kompensation ist es alle mal. Also was jetzt?
Es gibt zwei Lager. Die einen sehen Kompensation von Flügen als eine Art neuen Ablasshandel. Ihre Angst: Durch die Kompensation erlangt man eine Art Freiflugschein ohne schlechtes Gewissen. Schon wieder den Flieger genommen? Ich kompensiere ja. Für die anderen ist Kompensation die derzeit beste Lösung beim Thema Fliegen. Denn Fliegen ist momentan einfach umweltschädlich. Es gibt keinen klimaneuralen Luftverkehr und wenn man schon ins Flugzeug steigen muss, dann ist Kompensation die beste Lösung.
Was bedeutet Kompensation?
Natürlich kann der CO2 Ausstoß der Flugreise nicht ungeschehen gemacht werden. Was in der Atmosphäre ist, ist in der Atmosphäre. Die Idee der Kompensation besagt aber, dass es am Ende egal ist, wo weltweit vemehrter CO2-Ausstoß passiert und wo CO2-Ausstoß vermieden wird. Der Ausgleich macht’s. Wenn man Emissionen also nicht vermeiden kann, dann ist es gut, diese zu kompensieren.
Um zu kompensieren, berechnet man den CO2-Ausstoß seiner Flugreise mittels Rechner (je nach Anbieter) und zahlt den errechneten Betrag. Quasi eine freiwillige CO2 Steuer. Mit diesem Geld werden dann verschiedene Klima-Projekte unterstützt. Gleichzeitig erkennt man durch die Zahlungen, wie viel ein Flug ansatzweise tatäschlich kosten müsste, wenn er auch den Emissionsverbrauch einrechnet.
In den letzten Jahren sind einige Anbieter für Flugkompensation auf den Markt gekommen. Ausführlich beschrieben findet ihr einige davon auf Utopia aufgelistet. Wichtig ist, dass der Anbieter ein „Gold Standard“ Siegel hat, welches garantieren soll, dass die Berechnungen stimmen und die Klimaprojekte auch qualitativ sind.
Kompensation in der Kritik
Kompensation kann also durchaus sinnvoll sein. Denn gar nicht kompensieren ist die schlechteste aller Lösungen. Allerdings gibt es auch berechtigte Kritik.
Kritiker sehen beispielsweise ein Problem in der Berechnung. Kolendioxid wirkt in hohen Luftschichten stärker als am Boden. Dies wird nicht von allen Anbietern eingerechnet. Gleichzeitig bleibt die Frage, wie viel CO2 durch Klima-Projekte tatsächlich und langfristig eingespart werden können. Es kann also nicht per se davon ausgegangen werden, dass ein kompensierter Flug ein Nullsummenspiel ist.
Ebenfalls in der Kritik sind Klimaprojekte in sogenannten Entwicklungsländern. In ärmeren Ländern sind Projekte günstiger durchzuführen. Dass sie manchmal an den Bedürfnissen und am Willen der Bevölkerung vorbei vollzogen werden, ist einer der Kritikpunkte. Ein weiterer ist das Prinzip des Outscourcens. Durch die Verschiebung der Projekte in entfernte Regionen wird der CO2 Ausgleich weniger als eine Aufgabe und Verwantwortung der Industrienationen wahrgenommen
Ein weiterer Kritikpunkt ist der vermeintliche Ablasseffekt. Wer kompensiert könnte möglicherweise häufiger fliegen. Schließlich tut er ja etwas für das Klima. So würde ausgerechnet die Kompensation den Flugverkehr durch „Gewissensbereinigung“ weiter anfeuern.
Kompensation als (zweitbeste) Lösung
Ob Kritiker oder Befürworter, in einem sind sie sich einig: Einen Flug zu kompensieren ist maximal die zweitbeste Lösung. Die beste Lösung ist, gar nicht erst den Flieger zu nutzen.
Aber was, wenn man ihn nutzen muss? Da sind wir wieder bei der Frage, was heißt müssen. Sicher gibt es Gründe, warum man ernsthaft einen Flieger nutzen muss. Bei Dienstreisen bleibt langfristig nur die innerbetriebliche Umstellung, hier hat man eher weniger Spielraum. Vielleicht über den Betriebsrat oder die/den Umweltbeauftragte/n. Der Urlaub auf Bali ist aber kein Muss, sondern eine freie Entscheidung. Niemand zwingt uns zu Urlaub in Übersee.
Deshalb sollte an erster Stelle immer das Hinterfragen der Flugreise stehen. Innerdeutsche Flüge sind immer vermeidbar. Auch zeitlich rechnen sie sich nicht wirklich. Innereuropäische Flüge sollten ebenso hinterfragt werden. Es gibt gute Fernverbindungen mit Bus und Bahn und Nachtzüge fahren – allen Unkenrufen zum trotz – immer noch.
Das widerum bedeutet aber auch ein Umdenken unseres Verständnisses von Urlaub. Der drei Tage Städtetrip nach Barcelona per Flieger oder schnell mal für eine Nacht von München nach Hamburg jetten können niemals mit Kompensation aufegerechnet werden.
Der langersehnte Urlaub in Übersee muss deswegen nicht für immer entfallen. Es bleibt eine Frage der Häufigkeit und der Reisedauer. Mehrmals pro Jahr in die Sonne fliegen ist etwas anderes, als alle 2-3 Jahre für mehrere Wochen am Stück in ein fernes Land zu fliegen. Wichtig ist hier zu verstehen, welchein Privileg Fliegen ist
Fazit: Wenn ein Flug unumgänglich ist, dann ist eine Kompensation die beste Wahl. Sie als Alibi für regelmäßiges Fliegen zu nehmen hingegen ist einfach nur „greenwashing“.
Dass gleichzeitig Kerosin besteuert und Bahnfahrten vergünstigt werden müssen, dass es einen Ausbau statt Rückbau der Bahnverbindungen braucht – all das ist hoffentlich klar.
Quellen:
- Umweltbundesamt Kompensation
- Umweltbundesamt Flugreisen
- Utopia CO2 Kompensation
- CO2 online Klimaschutz oder Ablasshandel?
- Klimareporter Flüge kompensieren