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Kann Tourismus eigentlich nachhaltig sein? Wenn wir für unseren Urlaub und Städtetrips durch die Welt jetten, hege ich da meine Zweifel. Aber gleichzeitig gibt es sie, die Umweltlabel, BioHotels und nachhaltigen Reiseveranstalter. Der Markt wächst. Also alles gut? Wie sieht es aus im Tourismusbereich?
Das wollte ich von Martin Balas wissen, den ich durch einen Post übers Fliegen auf Instagram kennengelernt habe und der so viel mehr über nachhaltigen Tourismus weiß, als ich mir anlesen könnte.
Hallo Martin. Schön, dass ich dir ein paar Fragen zum Thema „nachhaltiger Tourismus“ stellen darf. Erzähl doch zuerst bitte kurz ein wenig über dich und deine Arbeit.
Hallo Janine, sehr gern. Ich beschäftige mich persönlich und beruflich schon seit über 10 Jahren mit Nachhaltigkeit und bin tatsächlich durch das Reisen darauf gekommen. Schon während meiner Schulzeit verbrachte ich eine längere Zeit im Ausland und reiste sehr gern in andere Länder, um neue kulturelle Erfahrungen zu sammeln wie verschiedene Lebensweisen der Menschen, unterschiedliche Sprachen, die Kulinarik, das Nachtleben, die Lebensstile in anderen Ländern. Mich hatte das von Anfang an so begeistert, dass ich mehr über das Phänomen Reisen erfahren wollte – auch beruflich – und so studierte ich Tourismusmanagement an einer Fachhochschule.
Als ich dann mein Studium abgeschlossen hatte und meine Karriere begann, merkte ich sehr schnell, dass sich hinter diesen Sehnsüchten nach neuen Erfahrungen eine riesige wirtschaftliche Maschinerie steckte, die in höchst ökonomischen Mustern arbeitet und bei der es auch in allererster Linie um wirtschaftliches Wachstum geht. Damit verbunden wurde mir klar, dass der Tourismus als Wirtschaftsbranche viele ökologische und soziokulturelle Auswirkungen erzeugt, die teilweise ganze Regionen negativ verändern und damit verbunden auch wiederum den Tourismus selbst zerstören können.
Diese Dinge faszinierten mich und ich beschloss, mich intensiver damit auseinanderzusetzen und ein Masterstudium zu Nachhaltigem Tourismusmanagement zu absolvieren. Seitdem arbeite ich für eine nachhaltige Transformation des Tourismus und habe mich hier insbesondere auf Nachhaltigkeitsprozesse in Tourismusregionen spezialisiert.
Immer mehr Menschen sind sich über die Auswirkungen ihres Verhaltens auf das Klima und die Umwelt im Klaren. Würdest du sagen, dass sich das Reiseverhalten in Deutschland wandelt oder ist beim Thema Tourismus kein verändertes Verhalten seitens der Touristen erkennbar?
Ja, das ist auch im Tourismus deutlich erkennbar. Als ich vor 10 Jahren anfing, war der Zeitgeist eher auf Liberalismus, Wachstum und einem uneingeschränkten Handeln eingestellt; das hat sich schon sehr stark verändert. Seit ungefähr 5 Jahren gibt es eine zunehmende Gruppe der Bevölkerung, der ein ökologisch verträglicher und sozial verantwortlicher Urlaub immer wichtiger wird. Aktuell sind das ungefähr die Hälfte der deutschen Urlauber. Das Problem hierbei ist die altbekannte Schere zwischen einer gewünschten Haltung und dem tatsächlichen Verhalten. Denn nur etwa 2% der deutschen Reisenden entscheiden sich dann letztlich aktiv für einen Urlaub, der auch klar nach nachhaltigen Gesichtspunkten ausgestaltet ist.
Studien belegen, dass dies zum Großteil aber auch am nicht vorhandenen Angebot liegt. Die größten Hürden liegen darin, dass es noch viel zu wenige Informationen hinsichtlich nachhaltigen Reisens gibt und das Angebot noch viel zu gering ist. Es gibt einfach noch viel zu wenig sichtbare nachhaltige Urlaubsleistungen, die den Reisenden auch wirklich eine Auswahl ermöglichen. Hier liegt noch ein enormes Potenzial bei der Branche, was derzeit nicht ausreichend genutzt wird!
Wie sieht es denn auf Seiten der Tourismusbranche aus? Ist nachhaltiges Reisen dort überhaupt ein Thema oder herrscht eher Angst, Touristen und damit auch Geld zu verlieren?
Auch die Branche steckt aktuell in einem Wandlungsprozess, hin zu mehr Verantwortung und Nachhaltigkeit. Auch wenn dies kein neues Thema ist – Konzepte eines nachhaltigen Reisen existieren schon seit den 1980er Jahren – steigt der Wille und auch der Druck, das touristische Angebot nachhaltiger auszugestalten. Teile der Industrie haben erkannt, dass Nachhaltigkeit im Tourismus viele positiv besetzte Merkmale besitzt. So ist die Branche äußerst abhängig von einer intakten Natur und von kulturellen Identitäten in den bereisten Regionen, da dies die Hauptgründe für eine Reisewahl sind. Wer möchte schon in eine Region reisen, in der alle Wälder abgeholzt sind, der Strand mit Plastik vermüllt ist und die Einwohner einem unfreundlich und aggressiv gegenüber auftreten? Niemand.
Außerdem bietet der Tourismus etwas ganz Besondereres, was in anderen Branchen undenkbar wäre, denn viele Nachhaltigkeitsmerkmale sind auch mit einem besonderen Erlebnis für Gäste verbunden. Es mag in erster Linie komisch klingen aber im Tourismus kann z.B. das Nachhaltigkeitsprinzip von Verzicht ein Kaufargument sein, dass sogar einen höheren Preis rechtfertigt. Nehmen wir zum Beispiel Mobilität: Viele Urlauber suchen nach Ruhe und Entspannung und zahlen gern mehr für einen Ort, in dem es ruhig ist und wenig Verkehr herrscht. Außerdem verzichten viele bewusst auf Dinge, die sie im Alltag gewohnt sind.
Es gibt zum Beispiel Regionen in der Schweiz (die Alpine Pearls), in denen man bei Ankunft den Autoschlüssel abgibt und dafür ein Ticket für die kostenfreie Nutzung des ÖPNV bekommt. Das hat einerseits zu einer massiven Verkehrsentlastung in den Orten geführt und andererseits zu höheren Zufriedenheitswerten bei Gästen, die ohne Mehraufwand und in einer ruhigen Atmosphäre die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Andere Hotel und mittlerweile auch Regionen bieten ihren Gästen ein Carsharing mit Elektroautos an. Gäste werden damit angeregt, mit der Bahn anzureisen, ohne dass sie vor Ort auf eine individuelle Mobilität verzichten müssen.
Dies hat gleich zwei positive Nachhaltigkeitswirkungen: Zum einen probieren Menschen abseits ihres gewohnten Alltags etwas Neues aus und sammeln wichtige Erfahrungen mit der Elektromobilität; zum anderen führt dies nachgewiesener Maßen zu insgesamt weniger Mobilität vor Ort, denn viele Gäste nutzen das geliehene Auto dann garnicht – es geht eher um das Gefühl, mobil sein zu können, wenn man denn will.
Und trotzdem ist das Nachhaltigkeitsengagement noch eine Nische. In einer bundesweiten Studie haben wir zum Beispiel gemessen, das nur 2-5% aller Tourismusbetriebe mit einem Umwelt- oder Nachhaltigkeitszertifikat ausgezeichnet sind. Im Lebensmittelbereich sind mittlerweile über 10% der Produkte mit dem BIO-Zeichen ausgezeichnet. Der Tourismus hat hier also noch deutlich Luft nach oben. Viele Touristiker stehen dem leider noch sehr skeptisch gegenüber und glauben, dass es geschäftsschädigend ist – trotz der vielen Beispiele, die das Gegenteil beweisen. Es ist mittlerweile sogar so, dass die nachhaltigkeitsengagierten Betriebe oftmals deutlich erfolgreicher sind, als der Durchschnitt.
Es ist ökologischer Urlaub in Europa oder gar Deutschland zu machen, statt durch die Welt zu reisen. Aber leiden dann nicht auch bei uns einige Regionen an Overtourism und Zerstörung der Natur?
Das ist richtig; ein Urlaub in Deutschland und auch in den europäischen Nachbarländern ist immer ökologischer, als in fernen Ländern. Denn der Großteil der CO2-Emissionen finden aktuell noch beimTransport statt – bis zu 80% aller Emissionen werden durch die An- und Abreise von Gästen erzeugt. Wenn wir also rein danach gehen, dann dürften wir keinen Urlaub mehr in fremden Ländern machen. Nur würde dies dann auch zu nicht unerheblichen Verwerfungen in den fernen bereisten Ländern führen, die nicht selten vom Tourismus leben und dadurch auch ihren Lebensstandard erhöhen können.
Damit sind wir im klassischen Zielkonflikt der Nachhaltigkeit: Welche Abwägungen müssen wir treffen, um sowohl ökologische als auch soziale Effekte zu verbessern. In diesem Fall gibt es leider nicht viele Lösungen, aber es gibt sie: Wir können weniger fliegen und die Bahn zur Anreise nutzen; wir können uns ökologisch effizientere Airlines heraussuchen (zu finden im Atmofair Airline-Index); wir können bei Reiseveranstaltern wie dem forum anders reisen buchen, die sich der Nachhaltigkeit bei ihren Reisen verpflichten und auch ihre Reiserouten optimieren, um Emissionen einzusparen; und wir können am Ende unsere entstandenen Emissionen bei Anbietern wie Atmosfair oder Myclimate ausgleichen. Außerdem sollten wir alle den Druck auf die Branche und Politik erhöhen, dass endlich mehr Gelder in die Erforschung alternativer Antriebstechnologien, allen voran synthetischer Treibstoffe, fließen.
Das Phänomen von Overtourism ist wiederum ein sehr subjektives Thema und auch stark lokal ausgeprägt. Deutschland insgesamt hat kein Problem mit zu vielen Touristen; ganz im Gegenteil, es gibt viele Regionen vor allem im ländlichen Raum, in denen mehr Tourismus gewünscht ist, um die Regionen aufzuwerten. Naturzerstörung durch Tourismus findet zumeist dort statt, wo es keine auf Nachhaltigkeit ausgelegte Tourismusplanung gibt – das belegen viele Beispiele. Auch Berlin ist in der Gesamtheit nicht von Overtourism betroffen – einige Kieze leiden aber an massiven Touristenströmen, die viele negative Wirkungen mit sich bringen. Dies ist ein Paradebeispiel für nicht-nachhaltiges Management in Regionen und Städten. In Berlin findet beispielsweise der überwiegende Großteil des Tourismus in nur drei der 12 Bezirken statt und innerhalb dieser Bezirke dann in einigen ausgewählten Straßenzügen.
Die Tourismusverantwortlichen und der Senat haben es schlicht versäumt, ein cleveres und aktives Besuchermanagement zu betreiben und das touristische Angebot insgesamt besser zu verteilen. Jetzt wird gehandelt mit einem neuen städtischen Tourismuskonzept, welches einen stadtverträglichen Tourisms als Kernziel hat – nur ist dies leider schon zu spät und die bestehenden Auswirkungen lassen sich nur sehr langsam und kostenintensiv beheben. Die Hotels sind gebaut, die Sehenswürdigkeiten vermarktet und die Fremdvermietungen voll im Gange. Die benötigten Aufwendungen, das Ruder jetzt umzudrehen sind viel höher, als wenn dies proaktiv und vorbeugend geschehen wäre.
Kannst du positive Beispiele für nachhaltigen Tourismus nennen? Wie weiß eigentlich der Kunde beim Planen seines Urlaubs, ob er einen umweltfreundlichen Urlaub bucht?
Viele Tourismusunternehmen und auch Regionen sind schon aktiv. In Deutschland gibt es zum Beispiel das Netzwerk der Nachhaltigen Reiseziele, die sich nach hohen und ganzheitlichen Nachhaltigkeitsanforderungen haben auszeichnen lassen und kontinuierlich und zielgerichtet an der nachhaltigeren Ausgestaltung von Reiseangeboten arbeiten. Hier kann man als Urlauber auf das „grüne N“ achten und in einer der Unterkünfte übernachten, die Partnerbetrieb des jeweiligen Nachhaltigen Reiseziels sind und eigene Nachhaltigkeitskriterien erfüllen.
Wenn man gern bei Reiseveranstaltern seinen Urlaub bucht, kann man dies am besten beim forum anders reisen machen, einem Reiseveranstalterverbund von ca. 150 Reiseanbietern, der sich sehr strengen Nachhaltigkeitskriterien auferlegt hat und bei dem alle Betriebe mit dem Nachhaltigkeitszertifikat von TourCert ausgezeichnet sind. Bucht man gern im Reisebüro, dann sollte man aktiv nach einem nachhaltigen Alternativangebot fragen – auch die meisten Softwares der ReisebüromitarbeiterInnen können ihre Reisen schon nach diesen Kriterien filtern – oftmals ist ihnen dies jedoch garnicht bekannt.
Individualreisende können ebenso auf Zertifikate achten; Booking.com weist beiepielsweise bereits aus, ob eine Unterkunft ein Nachhaltigkeit-Label hat. Außerdem ist es immer gut, lokal geführte Unterkünfte und Touren zu buchen, da dann die Einnahmen auch wirklich vor Ort bleiben und nicht an Konzernzentralen ins Ausland fließen.
Es gibt auch einige Buchungsseiten wie bookdifferent.com, die Umweltaspekte bei den Unterkünften hervorheben und z.B. den ökologischen Fußabdrucks des jeweiligen Hotels kennzeichnen. Das erleichtert natürlich auch insgesamt die Auswahl.
Würdest du sagen, wir müssen einfach weniger verreisen um die Umwelt zu entlasten? Oder liegt die Verantwortung für verträgliches Reisen eigentlich bei den Anbietern?
Beides ist richtig. Der kurze Wochenend-Shoppingtrip nach New York muss nicht sein, da er extrem hohe Umweltauswirkungen durch den Flug mit sich bringt. Ebenso sollten wir darauf achten, dass uns der Urlaub auch wirklich das bietet, was wir wirklich suchen, sei es Erholung, Kultur oder Aktivsein; uns also auch hier bewusst für etwas entscheiden und die Reise in ein anderes Land als Privileg ansehen, nicht als ein reines Konsumgut oder Schnäppchen-Angebot. Reisen sollte verstanden werden als eine Einladung der Bewohner der bereisten Region, ihre natürlichen und kulturellen Besonderheiten kennenzulernen und wertzuschätzen. Das erzeugt dann auch wirklich die prägenden Momente und den Erfahrungsgewinn, die wir doch alle bei einer Reise suchen.
Touristische Anbieter können tatsächlich die größten Hebel ansetzen und die meisten Veränderungen – im positiven, wie im negativen Sinne – bewirken. Denn Tourismus ist mit enormen Investitionen verbunden, die oftmals langfristig angelegt sind. Auch wenn sich Urlauber natürlich recht einfach für oder gegen ein Urlaubsziel entscheiden können, die einmal errichteten Tourismusbauten blieben für viele Jahre im Ort. Das sehen wir an der spanischen Küste, wo zum Teil riesige Hotelbunker brach liegen und der Abbau Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauert. Ein rechtzeitiges Agieren im Sinne der Umweltverträglichkeit und des sozialen Zusammenhalts ist hier oberstes Gebot; sowohl bei der touristischen Infrastrukturplanung durch kommunale Entscheidungsträger als auch dann beim Betrieb der Einrichtungen durch die Unternehmen. Wenn das gut funktioniert und Hand in Hand läuft, dann bilden sich meistens fantastische Beispiele heraus, die allen zugute kommen – den Menschen vor Ort, den Touristen und den Unternehmern.
Lieber Martin, vielen herzlichen Dank für das großartige Interview und die vielen Hintergrundinformationen.
Für mich zeigt sich: Ohne vorheriges Nachdenken kein nachhaltiges Reisen. Man sieht, der Wille ist da, allein die Umsetzung ist noch schwierig. Wo suchen? Was taugt mir? Wie komme ich von A nach B? Gerne greifen wir da lieber zu althergebrachten Lösungen und Antworten. Wir Touristen müssen unser Handeln reflektieren und vorhandene Alternativen nutzen. Und die Reiseanbieter müssen vermehrt auf eben solche nachhaltigen Konzepte setzen. Auch in ihrem eigenen Interesse. Dass das geht, haben wir ja gehört. Darüber hinaus braucht es abr auch Gelder für Forschung und Entwicklung. Damit Transport emissionsarm und damit ökologischer wird.
Zukunfsfähig kann Reisen nur sein, wenn wir einen einfachen Zugriff auf nachhaltigere Alternativen haben und – wie Martin es so treffend ausdrückt – Reisen als Privileg und nicht als Konsumgut oder Recht ansehen.
Fotonachweise: Alle Fotos gehören Martin Balas und wurden mir von ihm dankenswerterweise zur Verfügung gestellt.