Tschernobyl – vom GAU 1986 zu den Bränden 2020
Kommunalpolitik. Jede Fraktion für sich oder alle zusammen?
Seit Mai 2020 sitze ich im Gemeinderat eines knapp 11.000 einwohnerstarken Ortes in Bayern. Zum ersten Mal habe ich Wahlkampf für mich machen müssen, nicht nur für die Partei. Und zum ersten Mal sehe ich die ganze Arbeit und blicke auf Entscheidungen durch Stapel von Papier mit Informationen über die jeweiligen Themen (zum Glück digital).
Für mich ist vieles Neuland und vieles sehr spannend. Und ich möchte euch mitnehmen in diese Arbeit. Dabei ist mein Ziel mit dieser neuen Reihe zur Kommunalpolitik nicht, euch allgemeingültiges Wissen zu vermitteln – je nach Bundesländern und Räten gibt es nämlich Unterschiede. Meine Beispiele folgen alle dem Wissen aus meiner eigenen Erfahrung. Vielmehr geht es mir darum, euch ein Gefühl für die politische Arbeit in Räten zu geben.
Bei Kommunalwahlen ist die Wahlbeteiligung eher gering.
Diese Aussage hörte ich während des Wahlkampfes und war wirklich erstaunt. Das hätte ich nicht gedacht und habe daraufhin mal ein bisschen recherchiert. Tendenziell liegt die Wahlbeteiligung tatsächlich auf kommunaler Ebene niedriger als z.B. bei einer Bundestagswahl. Außerdem ist sie in Städten niedriger als auf dem Land. Und in den Stichwahlen geht die Beteiligung auch noch mal runter.
Das verstehe ich. Die Verbindung zur/m Kommunalpolitiker*in ist auf dem Dorf eben doch eher gegeben als in der Großstadt. Und wenn es nicht grad um was geht, dann hat mensch auch oft keine Lust mehr, noch ein zweites Mal für eine Stichwahl loszugehen. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Genau wie es auch Ausnahmen in der Frauenquote in kommunalen Räten gibt. Eben dann, wenn es um etwas geht. Wenn ein Wechsel lange gewünscht und endlich in Sicht kommt. Oder man das Gefühl hat, etwas bewirken zu können und gehört zu werden. Auch dann, wenn es einem persönlich nicht egal erscheint, wer da die kommenden Jahre das sagen haben soll. Und, wenn man weiß, was Kommunalpolitik eigentlich tut. Wenn es kein Bild von „die da oben“ gibt. Dann geht die Wahlbeteiligung hoch.
Deshalb möchte ich heut mal erklären, was genau in der Kommunalpolitik passiert. Und zwar am Beispiel des Gemeinderates, denn da sitze ich nun mal drin. Was macht ein Gemeinderat eigentlich? Wie zeitaufwändig ist das? Wie muss ich mir Kommunalpolitik vorstellen? In einem späteren Beitrag werde ich auch mal berichten, wie es ist, da mitzumachen. Was es an Fähigkeiten braucht und wie es dann in der Praxis eigentlich so läuft. Auch über Tücken und Hürden möchte sprechen. Und über gewünschte und reelle Mitgestaltung aller.
Kommunalpolitik ist eigentlich das tollste, was es gibt.
Denn direkter dran an Politik ist man sonst nie. Europaparlament, Bundestag oder Landtag scheinen manchmal sehr weit weg. Die politischen Akteure sind selten greifbar. Aber die/den Vertreter*in im Bezirk, Stadtteil oder Ort, die kennt man oder kann man kennen lernen. Sie wohnen oft direkt vor Ort, kennen sich aus, sind dem Ort oder Stadtteil verbunden und haben ein lokales Interesse. Um so verwunderlicher eben, dass oft nicht bekannt ist, was Politiker*innen in der Kommunalpolitik eigentlich tun. Und auch das Interesse oft gar nicht da ist, diese Gremien zu wählen.
Die verschiedenen kommunalen Räte unterscheiden sich in ihren Aufgaben und auch je nach Bundesland kann es nochmal Unterschiede geben. Ich nehme als Grundlage den Gemeinderat in Bayern, denn da kenne ich mich aus. Die Größe dieses Gremiums variiert nach Ortsgröße. Alle im Ort befindlichen Parteien/pol. Gruppierungen können eine Wahlliste erstellen und Personen zur Wahl stellen. Auch parteifrei kann man sich auf eine solche Liste setzen lassen. Den Vorsitz hat die/der Bürgermeister*in. Dafür können Parteien ihre Kandidat*innen aufstellen. Das heißt, gewählt wird sowohl das Gremium als auch die/den Vositzende*n direkt. Je nach Stimmenmenge bekommen die Parteien/pol. Gruppierungen einen Teil der festgelegten Sitze. Und je nach Stimmvergabe auf die Personen rutschen diese nach oben oder unten in der Wahlliste. Die Plätze werden dann von oben nach unten vergeben.
Unterstützt wird das Gremium durch die Verwaltung der Gemeinde. Also der Teil, mit dem man als Bürger*in am meisten in Kontakt kommt, z.B. bei Eheschließung, Ausweis aktualisieren, Bauanträge stellen etc. Die Aufgabe des Gemeinderates ist die Vertretung der Büger*innen und Überwachung die Gemeindeverwaltung. In der Regel arbeiten Gemeinderät*innen ehrenamtlich, manchmal mit einer höheren oder niedrigeren Ehrenamtspauschale. Das ist in größeren Gremien wie z.B. wie dem Stadtrat anders. Der Aufwand ist dort so groß, dass es dafür auch richtig Geld gibt. Bürgermeister*innen arbeiten dann ehrenamtlich, wenn der Ort sehr klein ist (in Bayern unter 5000 Einwohner). In größeren Orten bekommt er/sie ein Gehalt als Beamte*r auf Zeit. Die Stellvertreter*innen (2. und 3. Bürgermeister*in) werden vom Gemeinderat gewählt und erhalten eine Aufwandsentschädigung, deren Höhe ebenfalls der Gemeinderat festlegt.
Gemeinderat bedeutet auch Ausschüsse, Gremienarbeit und Fraktionssitzungen
Wie hoch der Arbeitsaufwand ist, liegt natürlich immer an der Größe des zuständigen Bereiches und an den Aufgaben, die sich der Rat zusätzlich zu den Pflichtaufgaben gibt.
Pflichtaufgaben? Genau, es gibt sogenannte Pflichtaufgaben, die vom Land oder Bund gestellt werden. Darunter fallen z.B. Schulen und Kinderbetreuung, Abfallentsorgung, Brandschutz oder Bau. Die müssen von der Gemeinde erledigt werden. Das heißt auch, dafür muss Geld da sein. Wie diese umgesetzt werden ist dann wieder Sache der Kommune. Und dann gibt es eben die freiwilligen Aufgaben. Konzepte erstellen, kulturelle Angebote oder eine Kostenübernahme die der Kreis oder das Land nicht übernehmen will. Hier kann sich die Gemeinde je nach Finanzlage austoben. Schwimmbad? Konzerthalle? Ein Fuhrpark mit Leihrädern? Gemeindeeigenes Carsharing? Teilfinanzierung von ÖPNV Tickets? Schallschutzmauer? Das Problem sind nur leider oft die leeren Kassen. Deshalb muss auch die Ballance zwischen Wohnen und Gewerbe immer mit bedacht werden. Denn Wohnraum kostet durch Folgewirkungen auf die Infrastruktur, Gewerbe bringt bestenfalls Geld.
Damit sich die Arbeit bewältigen lässt gibt es Ausschüsse. Und hier liegt der Arbeitsaufwand. Neben monatlichen Gemeinderatssitzungen kommen einige extra Sitzungen dazu. Je nach Fraktionsgröße und Ausschusszahl mehr oder weniger. Zu jeder Sitzung braucht es natürlich auch eine Fraktionssitzung. Man muss sich ja schließlich abstimmen. Welche Ausschüsse (neben den vorgeschriebenen wie z.B. den Bauausschuss) es gibt, entscheidet der Gemeinderat selbst, in der sogenannten Geschäftsordnung. Da steht alles drin, was den Rat und die/den Bürgermeister*in betrifft. Und die kann man immer wieder aktualisieren. Spätestens nach der nächsten Kommunalwahl muss man es sogar.
Was kann man im Gemeinderat verändern?
Was genau kann man denn nun aber als Einzelperson und als Fraktion in der Kommunalpolitik umsetzen und verändern? Man kann zum Beispiel in die Geschäftsordnung einfügen, dass Bürger*innen durch öffentliche Protokolle informiert sind. Auch regelmäßige Bürgersprechstunden und Bürgerinformationen können dort verankert werden.
Man kann selbst Anträge einbringen für diverse Konzepte: Klimaschutz, Mobilität, Digitalisierung, Mobilfunk … Der Rat kann Entscheidungen beim Bau treffen. Sowohl für gemeindeeigenen Bau als auch im Bauplan für private Bauherren. Wie viel Fläche darf bebaut werden? Was darf eigentlich gebaut werden (Flächennutzung)? Wie viel Stellplätze bekommen Autos, wie viele Fahrräder? Soll eine PV Anlage (bei gemeindeeigenem Bau) aufs Dach?
Außerdem beschließt der Gemeinderat auch den Finanzhaushalt der Gemeinde. Hier können Stellen eingeschrieben und Gelder für größere Vorhaben eingetellt werden. Das ist wirklich nicht zu unterschätzen, denn wenn kein Geld da ist, gibt es keine Umsetzung von zusätzlichen Ideen. Daher wird bei jedem Antrag auch aufgeführt, was die finanziellen Auswirkungen sind.
Manches kann man aber leider nicht ändern.
Jedenfalls nicht im Gemeinderat. Darunter fallen alle Dinge, die nicht in der Entscheidungsmacht des Gremiums liegen. Zum Beispiel gehören weiterführende Schulen nicht in den unmittelbaren Zuständigkeitsbereich der Gemeinde. Sie werden vom Zweckverband geführt. Das ist ein Zusammenschluss aller Gemeinden, die Schüler*innen in besagte Schule schicken können. Auch fallen nicht alle Straßen im Ort unter die Entscheidungshoheit der Gemeinde. Für Kreisstraßen ist der Kreis zuständig. Und damit nicht nur für die Wartung sondern auch z.B für die Frage des Tempolimits.
Das bedeutet, der Gemeinderat kann hier nicht direkt entscheiden. Was er aber kann: Die/Den Bürgermeister*in und die Vertreter des Gemeinderates in den jeweilig zuständigen Verbänden oder Gremien beauftragen, sich stark zu machen für die eigenen Belange. Dafür braucht es natürlich einen langen Atem und auch hier wieder Vernetzung mit anderen. Denn eine Veränderung der Kreisstraße könnte andere Gemeinden auch betreffen – im guten wie im schlechten.
Wo dem Gemeinderat auch Grenzen gesetzt sind, ist die Frage der Bebauung. Es gibt natürlich ein paar Möglichkeiten der Einflussnahme. Auf die Dichte, Höhe und Art kann im Bebauungsplan Einfluss genommen werden. Über eine Einfriedungssatzung könnte die Frage der Zaunart und -höhe geregelt werden. Auch für den Umgang mit Schottergärten gibt es inzwischen Instrumente. Und in der Regel gilt, ein Neubau muss sich der umliegenden Bebauung anpassen. Eine PV Anlage, eine Fassadenbegrünung, ökologisches Bauen oder ein Anschluss zur E-Mobilität kann aber nicht vom Privatbesitzer gefordert werden.
Nochmal eine Anmerkung zum Zeitaufwand.
Ich hatte es oben ja schon erwähnt, möchte es hier aber nochmal anreißen. Der Zeitaufwand, das kann ich nicht schönreden, ist hoch. Denn Sitzungen müssen nicht nur gehalten sondern auch vorbereitet werden. Einmal durch einen selbst, indem man Sitzungsunterlagen liest. Aber auch in der Fraktion, wo man sich bespricht und den Standpunkt abklärt. Irgendwer sollte dann die eigene Position bestenfalls noch nach aussen tragen, in die Bürgerschaft. Aber auch in den eigenen Ortsverband.
Sitzungen, vor allem die Gemeinderatssitzungen, können schon auch mal sehr lange dauern. Je nach Redebedarf, Tagesordnung, Größe/Konfliktpotenzial der Themen. Es beruhigt sicher nicht wirklich, dass man eine Sitzung immer vor Mitternacht beenden muss. Wenn es eine solche Regelung braucht, heißt das nämlich, dass Sitzungen diese Marke schon überschritten haben. Und im Gegensatz zum Bundestag gibts dafür kaum Geld. Und ich meine wirklich kaum. Je nach Geschäftsordnung liegt die Höhe natülich unterschiedlich, aber Gemeinderatsarbeit ist ein Ehrenamt. Daher muss man sagen: Ratsarbeit ist auf der unteren Kommunalebene eine echte Leidenschaft. Über die Ressource Zeit und wie das vereinbar ist mit dem Wunsch, dass alle mitmachen können, werde ich noch einmal extra etwas schreiben.
Für jetzt reicht es erst einmal. Wie ihr seht, gibt es viele Aufgaben eines kommunalen Rates wie dem Gemeinderat. Vieles muss, anderen kann getan werden. Auf der kommunalen Ebene ist man sehr nah dran an den Auswirkungen von Entscheidungen und Bürger:innen können schnell ins Gespräch kommen. Außerdem kann hier sehr direkt etwas umgesetzt werden. Deshalb finde ich Kommunalpolitik richtig klasse.
Wenn ihr noch Fragen zum allgemeinen Thema Gemeinderat/Kommunalpolitik habt, dann schreibt mir eure Fragen in den Kommentar.
3 Comments
Guten Abend,
Habe ein paar Fragen zu der Zeit die du in die Arbeit in den Gemeinderat investierst.
Wurde bei uns in der Gemeinde (Niedersachsen, 9.300 Einwohner) nun auch in den Rat gewählt.
Bist du jede Woche in die Kommunalpolitik eingebunden oder gibt es auch Wochen wo du mal Ruhe hast weil keine Sitzungen anstehen?
Kannst du grob sagen wie viel Zeit du wöchentlich/monatlich in den Gemeinderat investierst?
Danke für deine Mühe und viele Grüße
Hallo Torben,
das kommt natürlich drauf an, wie viele Ausschüsse gebildet werden, wie oft sie tagen und in welche davon man sich wählen lässt. Ich habe tatsächlich fast jede Woche Fraktionssitzung und meist drei Mal/Monat Sitzung. Ich sitze aber auch in zwei Ausschüssen plus Gemeinderatssitzung. Es gibt auch Wochen, wo gar nichts ansteht, vor allem in den Ferienzeiten.
Auch die Zeit ist schwierig zu berechenen. Es gibt lange und kurze Sitzungen (habe schon alles von 1,5 Std bis 5 Std erlebt), Themen wo man sich sehr viel vorbereiten muss (ggf indem man recherchiert oder Fachmenschen befragt) und andere, wo klar ist, wie man sich entscheidet. Ich würde meine Arbeit auf ca. 6 Std/Woche schätzen.
Viele Grüße und viel Motivation für die kommende Arbeit.
Janine
[…] Janine Schneider von Wolkenguckerin […]