
Das Kind soll auf Skifahrt und ich frage mich: Ist Ski fahren mitten in der Klimakrise noch zeitgemäß?

Kommunalpolitik. Was macht eigentlich der Gemeinderat?

Der GAU in Tschernobyl, Urkaine 1986 gehört zu den prägensten Ereignissen meines Lebens. Ich habe kaum Erinnerungen an meine frühe Kindheit, aber an die Zeit 1986 erinnere ich mich gut. Nicht im Detail, sondern durch ein Angstgefühl. Ähnlich vielleicht wie Kinder heute Corona bedrohte mich als Kind etwas unsichtbares, was einfach da war und dem ich und vor allem die Erwachsenen nur wenig entgegensetzen konnten.
Nicht auf der Wiese oder im Sandkasten spielen, Schuhe draußen ausziehen und stehen lassen, kontaminierte Milch wegschütten. Daran kann ich mich erinnern. Und die Angst ließ mich oft nicht schlafen. Denn kurz darauf erschien „Die Wolke“ von Gudrun Pausewang und mit ihr manifestierte sich diese Urangst vor Atomkraft. Tatsächlich bekam ich diese Angst erst durch den Physikunterricht in den Griff, weil mir dort (1996!) endlich jemand erklärte, wie ein Atomkraftwerk funktioniert. Damit wurde der Schrecken erklärbar.
Tschernobyl und die Folgen
Ein Besuch in Weißrussland
Im Sommer 1999 fuhr ich mit einer Gruppe von „Kinder von Tschernobyl“ Engagierten nach Weißrussland, in die radioaktiv stark betroffenen Gebiete. Ich wohnte dort ein paar Tage bei Gastgeber’innen und Leiterinnen der weißrussischen Seite in zwei Dörfern, die nicht unmittelbar betroffen waren nahe am kontaminierten Gebiet. Im Zuge dessen lernte viel über den Unfall von Tschernobyl, denn mein Wissen war trotz Zeitzeugenschaft beschränkt. Ich las vom anfänglichen Schweigen der Sowjetunion und dass erst Schweden dachte, es hätte ein kaputtes AKW, weil es erhöhte Strahlung in einem ihrer AKWs gab. Ich erfuhr vom Problem der Winde und den radioaktiven Wolken und von Regenfällen, die oft ohne Warnungen über bewohnten Gegenden abgingen. Darüber, dass die Radioaktivität in Weißrussland 22-23% der Landfläche verseucht hat und natürlich darüber hinaus auch Gebiete in Russland und der Ukraine stark verstrahlt sind. Insgesammt 150.000 km². Trotz einer (späten) Umsiedelung leben heute übrigens noch immer/wieder ca. 5 Mio. Menschen in kontaminierten Gebieten, selbst in der 30 km großen Sperrzone.
Ich erfuhr später auch, dass in Europa 2,3% der Landflächen stärker kontaminiert waren/sind. Etwa 40% Europas bekam etwas ab von den radioaktiven Niederschlägen. Besonders betroffen: Österreich. Aber auch Deutschland, Schweden, Italien, Polen usw. In Süddeutschland fiel radioaktiver Niederschlag in relevanter Menge. Bis heute kann man die Radioaktivität messen. Und bis heute werden zur Sicherheit die Grenzwerte in bestimmten Lebensmitteln gemessen. Das Fass „Grenzwerte so machen, wie es passt“ mache ich hier nicht auf. Nur so viel: Sie sind nicht sehr aussagekräftig, weltweit nicht einheitlich und wurden z.B. nach Fukushima zeitweise angehoben. Ähm, ja.
Eine Frage der Sicherheit
Nach 1999 war mir Tschernobyl nicht mehr so präsent. Die Menschen in den betroffenen Gebieten schon, ich war zwei Mal Teamerin bei einer Sommerfreizeit von „Kinder von Tschernobyl“. Aber der Reaktor selbst trat in den Hintergrund. Es blieb eine Erinnerung und ein maximal für die Bewohner an der ukrainisch-weißrussischen Grenze ein Thema. Ich hörte, dass Präsident Lukaschenka immer wieder für eine Politik des „ist jetzt aber auch mal vorbei“ plädiert. Erfuhr, dass Menschen sich immer mehr in kontaminierten Gebieten ansiedelten. Wusste auch, dass kontaminiert nicht kontaminiert bedeutet. Strahlenwerte sind nicht konstant. Sogenannte hot spots (also Stellen mit besonders hoher Strahlenbelastung) bewegen sich. Wo es sicher ist und wo nicht, ist so einfach nicht zu sehen.
Doch nur weil global gesehen keine akute Gefahr mehr bestand, war das Thema Tschernobyl nicht vom Tisch. Der 1986 errichtete Betonsarkophag wurde immer rissiger und wurde dann zwischen 2012 und 2016 mit einer neuen Hülle versehen. Unter dieser werden radioaktiv verstrahlte Bauteile abgebaut. Denn der größte Teil der radioaktiven Mülls ist unmittelbar am Reaktor selbst. Wie genau man mit den 440.000 Kubikmeter langlebiger Atomabfällen umgehen will, was damit geschehen soll – Stichwort Endlager – ist unkar. Die neue Hülle soll etwa 100 Jahre halten. Unsere Kinder können sich also schonmal Gedanken machen für eine neue Lösung.
Kleine Sideinfo: Wusstet ihr, dass man seit 2011 als Tourist*in mit geführten Touren nach Tschernobly darf? Für etwa 100 Euro bekommt man einen Besuch der Stadt Prypjat ein paar Kilometer vom AKW entfernt und ein paar „coole“ Selfies. Katastrophen-Feeling inklusive. So lässt sich aus dem GAU noch was rausholen. Ich persönlich finde das etwas geschmacklos, denke aber, es profitieren einfach ein paar Leute gut davon. Denn die Ukraine ist finanziell nicht gerade gut aufgestellt. Für die Touristen ist es vermutlich ein Spiel mit dem Risiko, ein kurzer Besuch auch bei höherer Strahlung ist relativ ungefährlich (Geigerzähler gibt’s zum Besuch der Stadt dazu).
Waldbrände bei Tschernobyl
Tschernobyl bleibt also Thema. Und wenn ich den Namen lese, dann ringen die Alarmglocken. Wegen der Menschen dort an der weißrussisch-ukrainischen Grenze. Denn eines habe ich schnell gelernt in Weißrussland: Radioaktivität bleibt nur dann statisch an einem Ort, wenn es sich zb in Tiere, Pflanzen oder im Boden einlagert. So ein Baum zum Beispiel kann Radioaktivität herrlich speichern. Und auch herrlich wieder freisetzen, nämlich, wenn er brennt.
Damals wurde mir das erzählt, weil die Bewohner in leicht verstrahlten Gebieten mit Holz heizten, aus den kontaminierten Wäldern. Zudem können sich hot spots durch Winde und Bodenveränderungen auch verlagern. Radioaktivität und ihre Stärke sieht man nicht. Wo bin ich sicher, wo nicht? Genau weiß es keiner. Denn die Menschen dort laufen nicht mit Geigerzähler herum.
Seit zwei Wochen also brennen die Wälder um Tschernobyl – erneut, falls das niemand mitbekommen hat (so wie ich). Denn in der FAZ wird bereits 2018 von einem Brand berichtet und auf einen weiteren in 2015 verwiesen. Dort, wo sehr viel des ersten fall-outs nieder gegangen ist, brennt es. Und damit steigt Radioaktivität in die Luft. Messbar auch im >100km entfernten Kiew.
Scheinbar ist das Feuer unter Kontrolle, so genau weiß man es nicht. Denn die Aussagen und Satelitenbilder weichen voneinander ab. Doch selbst wenn, das Problem bleibt. Je trockner es wird (hallo Klimawandel) desto höher die Waldbrandgefahr, auch in den Wäldern von Tschernobyl. Dass sich durch die hohe Strahlenbelastung das Feuer nicht einfach löschen lässt, will man die Gesundheit der Feuerwehrleute nicht gefährden, bringt eine weitere Gefahr mit sich. Denn wenn sich ein Feuer einmal so richtig ausbreitet und das zerstörte AKW erreicht, wird so ein Brand ungleich schwerer zu löschen sein.
Die Geister, die wir riefen
Vom derzeitigen Feuer geht global keinerlei Gefahr aus, selbst die Strahlung in Kiew lag unter den Grenzwerten, auch wenn man vorsorglich chronisch Kranken riet extra (also Corona on top) daheim zu bleiben. Dennoch zeigt uns die Nachricht: Es gibt kein „vorbei“ bei einer Katastrophe wie Tschernobyl.
Die Geister, die wir riefen sind weiterhin da. Menschen leben mit den direkten und indrekten Folgen der Katastrophe. Haben Umsiedelung, Verlust, Krankheit im Familiengedächtnis gespeichert. Sie leben in kontaminierten Gebieten, die man als halbwegs sicher deklariert, bekommen (so war es zumindest 1999) mehr Geld, wenn sie als Lehrkräfte dort hin ziehen. Durch die Nutzung der Bodens, der Tiere und der Bäume gerät gespeicherte Radioaktivität in den Umlauf und in die Menschen. Brände sind eine reale Gefahr und die Frage, wie lange die neue Hülle sicher ist, kann auch keiner wirklich beantworten. Von der großen „Wohin mit dem Strahlenmüll?“ Frage ganz zu schweigen.
Atomkraft bleibt ein Thema
Nein, ich habe keine unkontrollierbare Angst mehr wie in meiner Kindheit. Dennoch weiß ich: Wir werden Tschernobyl (und auch Fukushima) niemals einfach hinter uns lassen können. Wir dürfen es nicht vergessen und müssen uns klar machen, welche Folgen (nicht nur gesundheitlicher Art) ein solcher GAU für viele Generationen hat. Nach 1986 bekam die Anti-Atom Bewegung einen wahnsinnigen Aufwind (wen wundert es) und nach Fukushima 2011 konnten wir eine der krassesten Kehrtwenden in der deutschen Politik sehen: Den Ausstieg von der Laufzeitverlängerung. Die noch 2010 beschlossene Verlängerung wurde 2011 in einen Atomausstieg bis 2022 umgewandelt.
Dass wir uns jetzt nicht zufrieden hinsetzen können mit dem Gedanken, dass zumindest für Deutschland doch alles tutti ist, sollte an dieser Stelle wohl eh niemand glauben. Denn seit Beginn der ernsteren Auseinandersetzung mit den Protesten zur Klimakrise schallt es immer wieder „Atomkraft kann eine saubere Übergangslösung sein!“ Da muss man erstmal drauf kommen. Doch so klimafreundlich man sich ein AKW reden möchte, so sehr bleiben wir auf radioaktivem Abfall sitzen. Und auch der Rückbau beginnend spätestens 2022 wird jahrzehnte dauern. Ein AKW abschalten und ausrangieren funktioniert leider nicht einfach so.
Der GAU von Tschernobly 1986 war ein Augenöffner. Aber es braucht einen langen Atem für den Ausstieg. Weltweit. Möge es uns gelingen, auch ohne weitere Katastrophen wie Fukushima am Ball zu bleiben. Denn leider neigen wir Menschen zum Vegessen.
Quellen:
Verbraucherzentrale über belastete Lebensmittel
Bundeszentrale für Politische Bildung: Auswirkungen der Katastrophe von Tschernobyl auf Deutschland
Bundeszentrale für Politische Bildung: Die bekannte unbekannte Katastrophe
Botschaft Belarus in Deutschnland
Böll Stiftung: Der andere Bericht über Tschernobyl
Greenpeace: Brennende Sorge
FAZ: Brand in Sperrzone
Süddeutsche: Tschernobyl und die Hybris des Menschen
Deutsche Welle: Tragiödie, Tourismus und Instagram Hype
Deutsche Welle: Fukushima und die Folgen in Deutschland
BUND e.V.: Nach dem Abschalten