Orientierung im Biosiegel-Dschungel
Einfach nachhaltiger: Brot kaufen
„Does it spark joy?“ fragt Marie Kondo immer und immer wieder. Erst in ihrem Austmisten-Bestseller „Magic Cleaning“ und seit neustem nun auch auf Netflix in ihrer Serie „Tidying up“ in der sie Menschen beim Aufräumen und Ausmisten hilft.
Das klingt erstmal richtig gut. Aufräumen, ausmisten, ordnen. Wir haben alle zu viel Dinge, zu viele Kleidung, Spielsachen, Küchenutensilien, Kosmetikartikel, Bücher und so weiter und so fort. Ausmisten ist das große Ding unserer Überflussgesellschaft. Es gibt Challenges und Gruppen in den Sozialen Medien. Eine Flut von gerollten Kleidungsstücken und glücklichen Ausmistheldinnen zieren die Fotowände der entsprechenden Hashtags auf Instagram. Und nicht selten gehen Kondo-Aufräumen, Minimalismus und Zero Waste eine Alianz ein, nach dem Motto: Erst ordentlich ausmisten und dann befreit einen minimalistischen, umweltfreundlichen Lebenstil leben.
„Does ist spark joy“ ist die falsche Frage.
Mit der Frage „Macht es dich glücklich?“ wird uns suggeriert, dass der Sinn eines jeden Dinges ist, uns glücklich zu machen. Dabei könnte man maximal bei Erinnerungsstücken und einzelnen Besitztümern von „Freude“ sprechen. Das allermeiste Zeug, das wir besitzen, sollte vor allem eines: Einen Zweck erfüllen.
Der Kochlöffel, die Kaffemaschine, der Wintermantel und meine Bettwäsche haben einen Zweck. Sie sollen mir Hilfsmittel in meinem Leben sein. Sie sollen es mir leichter machen, aber nicht Freude bringen. Zumindest nicht primär. Natürlich dürfen sie mir gefallen. Aber sie aussließlich danach zu beurteilen ist probematisch. Denn sobald es ans Ausmisten und Platz schaffen geht, sollte nicht nach Glücksgefühl sondern nach Sinn sortiert werden. Es ist also angebrachter, bei jedem Ding zu fragen: „Was ist dein Zweck? Warum habe ich dich gekauft? Erfüllst du diesen Zweck?“
Ausmisten mit der richtigen Fragestellung ist durchaus sinnvoll
Natürlich brauchen wir weder 5 Bettwächegarnituren, noch 30 Tassen oder 4 Kochlöffel. Deswegen ist es durchaus sinnvoll, den eigenen Besitz zu durchforsten. Aber statt nach der Freude oder dem Glückgefühl zu suchen, sollten wir uns fragen: „Welchen Zweck erfüllt dieser Gegenstand für mich?“ Möglicherweise erleben wie den Moment, in dem wir erkennen, dass er allein dem Lückenfüllen dient. Und dort heißt es ansetzen. Was bezwecke ich mit dem Besitz so vieler Dinge? Was treibt mich zum Kauf, zum Sammeln, zum „immer mehr wollen“?
Vielleicht hat sich auch einfach unfassbar viel Zeug angesammelt, das irgendwann einmal einen Zweck hatte, seit Jahren aber keinen mehr erfüllt. Keller sind voll von diesen Dingen. Alte Kindersachen, altes Studienmaterial, 5 Paar zu kleine Schlittschuhe …
Erst, wenn wir erkennen, welchen Zweck etwas erfüllen soll/te und ob es ihn noch erfüllt, können wir weggeben, verschenken, verkaufen. Weil wir es dann nicht einfach neu kaufen, wenn wir wieder an dem Lückenfüller-Punkt angekommen sind.
Nachhaltigkeit und „Joy“
Wenn wir Besitz daran messen, wie glücklich er uns macht, geraten wir in eine Nachhaltigkeitsfalle. Denn was, wenn die Tasse zwar zweckmäßig ist, aber eben nicht mehr schick? Wenn das tasellose Sofa nicht dem aktuellen Schönheitstrend 2019 für Möbel entspricht? Da wir alle sehr geprägt sind von Werbung, Influencern und Trends kommen wir schnell an den Punkt, an dem wir uns etwas neues, schöneres wünschen. Also schnell das alte verkaufen oder verschenken und was schickes neues kaufen, das glücklich macht. Macht ja nix, ist ja nicht weggeworfen. Der digitale Second Hand Markt boomt.
Tatsächlich macht das aber sehr wohl etwas. Denn jedes neue Teil verursacht Emissionen, verbraucht Resourcen und müllt unseren Planeten immer mehr zu. Zudem fördert eine wachsende Second Hand Bewegung eben auch den Neukaufgedanken: Das Handymodell ist nicht mehr das aktuellste? Die Kleidung ist überhaupt nicht capsual wardrobe mäßig? Die Möbel nicht skandinavisch genug? Kein Problem, lässt sich alles easy verkaufen.
Versteht mich nicht falsch. Gebraucht kaufen ist tatsächlich auch etwas, was richtig und wichtig ist, wenn tatäschlich eine Neuanschaffung nötig wird. Nur hat der Markt eben auch eine Schattenseite in unserer Gesellschaft. Und setzt man den „joy“ Gedanken über die Zweckmäßigkeit, dann nutzt man diesen Markt wesentlich häufiger in beide Richtungen als vielleicht angebracht. Second Hand kaufen und verkaufen kann so sehr schnell zu einer Legitimation werden, weiter zu konsumieren bei gleichzeitig grünem reinem Gewissen.
Merke: „use what you have“ und „Funktion über Design“
Wir müssen bei all dem Ausmisten und Aufräumen verstehen, dass es nicht primär darum geht, ob etwas Freude bereitet. Natürlich darf es Dinge geben, die allein aufgrund ihres Daseins Freude bereiten. Aber nicht jeder Schlüpper, jedes Glas, jede Dose und jeder Pulli muss diese Funktion erfüllen. Es ist bei allen Dingen für die Funktion völlig egal, wie sie aussehen. Und wir sollten verstehen, dass die erste Messlatte sein sollte: Erfüllt es seinen Zweck?
Unser Leben ist kein Katalog und Instagram-Fotos nicht die Realität. Ob du dein Zeug rollst, knuddelst, farblich abgestimmt oder wild durcheinander trägst. Ob du 37 oder 100 Kleidungsstücke hast, dein Zeug in Tupper- oder Stahldosen transportierst, es spielt keine Rolle. Und dass wir unseren Besitz ernsthaft daran messen, ob er uns ein gutes Gefühl gibt und der Fakt, dass wir, wenn dem nicht so ist, ihn eben erstetzen (second hand, neu oder fair) ist super krasser „first wold“ Luxus.
Um wirklich etwas zu verändern, müssen wir uns freimachen von dem Gedanken, dass all unsere Besitztümer einem äthetischen oder emotionalen Anspruch genügen müssen. Wir sollten wieder lernen, die Funktion an die erste Stelle zu setzen. Dafür müssen wir uns weder in Sack und Asche kleiden noch die hässlichsten Dinge ins Haus holen. Wir haben ja eh schon alles doppelt und dreifach.
Zuerst kommt das Nichtkaufen
Um wirklich langfristig und damit nachhaltig mit deinen Dingen umzugehen, muss vor dem Ausmisten zuerst das Nichtkaufen kommen. Hören wir auf, ständig Dinge in unser Leben zu schleppen, die uns vermeintlich glücklich machen oder dem neusten Trend entsprechen. Beginnen wir lieber, die Dinge zu nutzen, die da sind. Das gilt für Kleidung genau so, wie für Kosmetik, Bücher, Filme, schöne Tassen und der vermeintlich witzige „Eigentlich brauch ich nix“ Einkauf bei Ikea.
Wenn wir damit erfolgreich sind, können wir uns langsam überlegen, was von den vielen Dingen, die wir haben wirklich keinen Zweck mehr erfüllt in unserem Leben und uns davon trennen. Nicht in Mülltüten, sondern durch sinnvolle Weitergabe. Und sollte uns etwas kaputt gehen und wir haben wirklich(!) nichts vergleichbares in unserem Besitz, dann kaufen wir
- second hand
- primär nach Funktion und Langlebigkeit
Machen wir es nämlich anders herum und misten wild aus ohne zu schauen, warum wir die Dinge zuerst in unser Haus geholt haben, ohne uns einen Kaufstopp aufzuerlegen, dann laufen wir Gefahr, einfach den entstandenen Platz erneut zu füllen. Mit Dingen, die uns vermeintlich „glücklich machen“.
2 Comments
[…] Mein Herz hängt einfach nicht so sehr an den meisten Dingen. Vielleicht kann ich deshalb auch, wie ich ja schon schrieb, Marie Kondos Joy Ding nicht so […]
Du sprichst mir aus der Seele. Ich find die Vorgehensweise der KonMari-Methode grundsätzlich gut und effizient. Allerdings gehrt sie mir nicht weit genug. Gerade in der heutigen Zeit sollte man anfangen mehr Nachhaltigkeit in sein Leben integrieren. Los geht es natürlich bei einer bewussteren Konsum-Entscheidung und natürlich auch wie man mit den Dingen die man besitzt umgeht und sie ggf. auch ausmistet. Einfach alles auf den Müll hauen, weil es mich nicht mehr glücklich macht ist eine zu einfache (nicht durchdachte) Lösung für ein komplexes Problem. Ich habe vor einiger Zeit einen Artikel zum Thema Nachhaltigkeit der KonMari-Methode veröffentlicht mit Tipps wie man mit den Dingen umgeht die man wirklich los werden möchte. https://ketoka.de/nachhaltig-ausmisten/
Vielleicht fallen dir ja auch noch ein paar Tipps ein, an die ich nicht gedacht habe 😉 Würde mich aufjedenfall freuen deine Meinung dazu zu hören.