Kommunalpolitik. Mit Engagement vor Ort der Klimakrise begegnen.
Was ist eigentlich der IPCC? Hintergrundwissen zum neusten Sachstandsbericht 2021/22.
Irgendwann in den 1990ern erzählte mir jemand, dass wenn der Golfstrom stehen bleibt/kippt, dann ist aus die Maus. Ende. Feierabend. Eiszeit. Mein Teenager-Ich hat das stark geprägt. Neben Ozonloch und Verklappung in den Weltmeeren war das eine Antriebsfeder, aber auch ein Angstszenario, welches mich zum Engagement in Umweltfragen brachte aber auch um so manche sorglose Stunde. Um so mehr fühlte ich mich also heute von der aktuellen Meldung: „Der Golfstrom könnte vor dem Umkippen stehen“ in der Süddeutschen Zeitung von der Angst aus der Vergangenheit eingeholt. Jetzt also ist es soweit? Jetzt kommt, was mir schon in den 90ern als Katastrophe prophezeit wurde? Grund für den Artikel ist übrigens die in der Fachzeitschrift Nature Climate Change veröffentlichte PIK-Studie.
Der Golfstrom, unsere Heizung
Was ist der Golfstrom und was macht er? Der Golfstrom ist Teil von weltumspannenden Meeresströmungen. Er verläuft zwischen dem Golf von Mexiko und dem Nordatlantik und sorgt in Nord- und Westeuropa für mildes Klima. Denn obwohl der Wesen Norwegens in Teilen auf gleicher geografischer Breite mit Südgrönland und Städten im Osten Kanadas liegt, haben wir in Nord- und Westeuropa doch wesentlich mildere Winter und mehr Vegetation. Dank des Golfstroms.
Der Golfstrom ist zwar nur ein Teil aller Stömungen, aber er ist eine der schnellsten, mächtigsten und wärmsten Oberflächenströmungen der Meere. Damit er in Bewegung bleibt braucht es ein Zusammenspiel von Temperaturunterschieden und unterschiedlichem Salzgehalt im Wasser. Warmes Salzwasser aus dem Süden wird nach Norden transportiert. Auf dem Weg verdunsten Teile des Wassers. Dank des nun stärkeren Salzgehaltes sinkt das Wasser nach unten. Von Norden strömt es dann abgekühlt wieder nach Süden. Und hier kommt u.a. das Abschmelzen des grönländischen Eises ins Spiel. Denn durch vermehrten Zufluss von Süßwasser ins Meer verändert sich der Salzgehalt und damit sinkt Wasser nicht mehr so schnell in die Tiefe. Und das verlangsamt die Meeresströmung. Ganz anschaulich wird das System hier erklärt.
Was passiert, wenn der Golfstrom kippt?
Die Antwort lautet: Jedenfalls nicht, was Roland Emmerich in „The Day after Tomorrow“ auf die Leinwand brachte. Man weiß wohl, dass sich der Golfstrom schon mal verlangsamt hat und dann wieder an Fahrt aufnahm. Man weiß auch, dass er seit den 1950ern stetig langsamer wurde. Man weiß um die Probleme des Süßwassers durch schmelzendes Eis und verstärkte Niederschläge. Man weiß aber nicht, was genau für Konsequenzen folgen werden.
Wir können darauf vertrauen, dass Wissenschaftler:innen den Golfstrom weiter im Auge behalten, dass sie weiter forschen und wir immer mehr wissen werden. Wir werden nicht von heut auf morgen in meterhohen Schneeschichten gen Süden wandern müssen, wie in Roland Emmerichs Film. Es sind sich auch bisher noch nicht alle einig, ob das Abschwächen des Golfstroms mit dem Klimawandel in Zusammenhang steht. Manche sagen auch, dass eventluell das wärmere Klima die abnehmende „Golfstromheizung“ ausgleichen könnte. Also ein Temperatursturz ausbleibt. Gleichzeitig haben auch die Winde einen relevanten Einfluss auf Strömungen. Alles tuffig dann?
Leider nein. Denn der Golfstrom und vor allem der Nordatlantikstrom gelten als ein Kippelement. Er ist relevant für viele Lebensbereiche und eine Verlangsamung hat Folgen. Es gibt natürlich kein „Auf A folgt B“ wie in Endzeitfilmen. Die Realtiät ist komplexer und daher auch nicht vorhersehbar. Wissenschaftler:innen und Forscher:innen können lediglich Wahrscheinlichkeiten und Szenarien entwerfen. Momentan wird davon ausgegangen, dass der langsamere Golfstrom verschiedenen Einfluss haben wird. Einmal auf die Meeresbewohner, auf die Ökologie des Meeres. Denn Meeresströmungen transportieren auch Nährstoffe und Sauerstoff. Dann aber auch auf uns. Es könnten stärkere Winterstürme, Überschwemmungen auftreten und auch der Anstieg des Meeresspiegels ist möglich. Es könnte in Nord- und Westeuropa kälter werden. Wetterextreme könnten zunehmen.
Vom richtigen Umgang mit Informationen
Klingt alles weniger gut, oder? Allerdings auch weniger nach Endzeitfilm. Das sage ich bewusst, weil eine Verkürzung von Aussagen wie am Anfang erwähnt in meinen Augen problematisch sind. Ein „Der Golfstrom wird versiegen, uns droht eine Eiszeit“ ist einfach nicht richtig. Und wenn man das ganze auch noch einfach nur dahin sagt ohne weitere Informationen, dann kann das eintreten, was seit einiger Zeit einen Namen hat: Klimaangst. Und die kann zu Lähmung und Verdrängung führen. Denn wie soll ich den Golfstrom retten, bitte? Auch wenn ich Angst für etwas gesundes halte, hilft das Schüren selbiger durch verkürzte Aussagen in meinen Augen leider nicht weiter.
Deswegen ist es wichtig, bei allen Nachrichten ausführlich zu lesen. Der Wissenschaft zuzuhören und die größeren Zusammenhänge zu verstehen. Unser menschengemachter Klimawandel und all die Veränderungen, die wir seit geraumer Zeit (und zukünftig) wahrnehmen (werden) stehen in einem Zusammenhang oder beschleunigen sich untereinander. Wir müssen verstehen, was passiert. Worauf wir uns einstellen müssen. Und weiter – und vermehrt! – daran arbeiten, die Erderwärmung zu stoppen. Dabei kann auch die Angst oder Sorge helfen. Aber nicht die Panik, wie ich sie als Teenager durch das unbedachte Daherreden ohne Einbettung in Fakten erlebt habe. Wir müssen uns den Fakten stellen und damit auseinandersetzen und Informationen ausreichend weiter geben. Damit wir ins Handeln kommen. Denn das ist, nicht nur beim Thema Golfstrom, dringend geboten.
Weitere Quellen:
Umweltbundesamt: Kipp-Punkte im Klimasystem (Juli 2008)
Quarks: Kippsysteme. Sechs tickende Zeitbomben (21. Mai 2021)
Deutsche Welle: Klimawandel birgt Gefahr für den Golfstrom (21. Januar 2017)
Deutsche Welle: Golfstrom-Abschwächung bedroht das nordatlantische Klimasystem (6. August 2021)
Die Studien finden sich hier (kostenpflichtig):
Zeitschrift Nature Geoscience: Current Atlantic Meridional Overturning Circulation weakest in last millennium (25. Februar 2021)
Zeitschrift Nature Climate Change: Observation-based early-warning signals for a collapse of the Atlantic Meridional Overturning Circulation (05.August 2021)