
Der Jahresrückblick auf 2019 und der Ausblick auf 2020 machen mir Bauchweh. Deshalb schließe ich fest beide Augen.
27. Dezember 2019
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28. Januar 2020Mein Wunsch für 2020: Mehr politische Beteiligung

Ich wünsche mir ja so einiges für 2020. Privat, gesellschaftlich und politisch. Eines aber liegt mir ganz besonders am Herzen: die politische Beteiligung.
Unser Demokratieverständnis ist derzeit gelinde gesagt sehr seltsam. Wir folgen Aufrufen auf Social Media, diese und jene Petition zu unterzeichnen. Doch wie viele von uns lesen die genaue Forderung? Wie viele glauben nicht einfach nur Menschen mit genügend Reichweite – weil: wer viele Likes hat, hat Recht? Und wer von uns weiß überhaupt, wie Petitionen funktionieren?
Wir sitzen auf dem Sofa und meckern über die Politik, die alles verkackt. Schimpfen über „die da oben“, eine vage Clique von Menschen, und ihren Verfehlungen bei Klimaschutz, sozialer Gerechtigkeit oder Bildung. Oder aber, wir kaufen Tickets für einen Event, der verspricht „die Welt zu einem zukunftsfähigeren Ort zu gestalten“ und bei dem man Abends „mit dem Guten Gefühl nach Hause gehen [kann], einen weiteren Schritt in Richtung Veränderung unternommen zu haben.“ (Zitat über das 12/06/2020 Projekt auf startnext.com, Stand 9.12.2019)
Wählen gehen? Ist irgendwie uncool.
Politik ist abstrakt geworden. Eine Aufgabe für andere Menschen, die es dann am Ende ja doch nicht ernst meinen oder sich verkaufen. Die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2017 lag bei 76% . Es gab nur 2009 einen noch niedrigeren Wert. Noch schlimmer trifft es die Kommunalwahlen. Bei der Kommunalwahl Bayern 2014 machten nur 55% der Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht gebraucht. In München gingen zur Stichwahl der Oberbürgermeisterwahl sogar nur noch 38% aller Berechtigten. Auch in Baden-Württemberg 2019 lag die Beteiligung bei 58,6% und in Mecklenburg-Vorprommern lag sie im gleichen Jahr ebenfalls bei nur 57%.
Dabei ist die Kommunalwahl die direkteste Wahl für uns. Näher dran kommt man nicht mehr politisch. Hier werden Entscheidungen getroffen für die Region, den Ort, die Stadt und damit direkt für uns. Eigentlich also nichts abstraktes oder „weit weg“. Vielerorts kennt man die Kandidat:innen sogar. Dennoch findet fast die Hälfte aller Wahlberechtigten es nicht relevant, ihre Stimme abzugeben. Doch Wählen gehen ist ein Recht und ein Privileg. Ein hart umkämpftes und weltweit nicht selbstverständliches Recht.
Wie wär es mit Mitgestaltung?
Jetzt gibt es ja genug Leute, die sich in den üblichen Parteien nicht aufgehoben fühlen. Da passt einfach keine. Doch statt nach Lösungen zu suchen, wird lieber nichts getan. Dabei bietet unsere Demokratie zwei wunderbare Optionen, sich einzumischen und das ganze politische Geschehen direkt zu verändern:
1. Gründet eine neue Partei. Das ist gar nicht so schwer und bedarf erstmal nicht viel. Natürlich braucht es einen Gründungsvertrag, ein Parteiprogramm und eine Satzung. Und der Vorstand muss aus mindestens drei Menschen bestehen. Aber das sollte doch machbar sein. Schließlich ist kaum eine Partei „immer schon dagewesen“. Parteien wie die Grünen (1980/90), die Piraten (2006) oder Volt Deutschland (2018) machen es vor.
2. Tretet der Partei bei, in der ihr euch am ehesten wiederfindet. Denn das tolle am Beitritt ist das Recht auf Mitbestimmung. Die Inhalte und Programme aller Parteien werden durch Abstimmung festgelegt. Da gibt es keinen Oberguru, der bestimmt und alle nicken. Bedeutet: Ihr könnt direkt mit entscheiden und auch Ideen einbringen. Natürlich ist das kein Selbstläufer. Wie überall im Leben braucht es Mehrheiten, die erzeugt werden müssen. Wer eine Idee hat oder einen Vorschlag, der muss Stimmen sammeln dafür. Ist ja klar. Demokratie eben. Aber was (und jetzt spinne ich mal wild rum), wenn alle 30.000 Münchner FFF Demonstrant:innen CSU, Grünen, SPD, FW beitreten würden und mitbestimmen und mitgestalten dürften?
Realität versus Wunsch
Leider sieht die Realität aber anders aus. Ungefähr 1,3 Millionen volljährige Mitglieder haben die größeren Parteien (CDU, CSU, SPD, GRÜNE, FDP, LINKE, AFD) insgesamt. In Deutschland leben 83 Millionen Menschen, davon sind ca. 69 Millionen über 18 Jahre alt. Natürlich dürfen auch unter 18jährige Mitglied in Parteien werden. Da aber das erlaubte Eintrittsalter je nach Partei variiert, habe ich sie aus der Rechnung heraus genommen. Unter diesen 69 Millionen Erwachsenen befinden sich logischerweise auch Menschen ohne deutschen Pass. Sie dürfen allerdings, bis auf bei der CDU, ebenfalls Mitglied einer Partei werden. Deshalb habe ich da nicht nach Differenzierung gesucht. So oder so sind die Zahlen eh nur Anhaltspunkte, denn die wichtige Info ist:
Von unserer erwachsenen Bevölkerung von 69 Millionen Menschen sind gerade mal etwa 1.3 Millionen Menschen Parteimitglieder. Ein Bruchteil also. Und die Zahlen sind seit Jahrzehnten rückläufig. Vermutlich hat kaum einer noch Interesse an aufreibenden Sitzungen, am Aushandeln von Kompromissen. Hinzu kommt eine sinkende Bereitschaft, sich zu demokratischen Parteien zu bekennen. (Die Rechten haben da überhaupt kein Problem mit der Bekennung) Man redet nicht über Politik. Nicht zu Hause, nicht im Büro. Weder unter Freunden noch mit der Familie. Um den Frieden nicht zu stören und Konflikten aus dem Weg zu gehen. Und wir lernen es auch nicht in der Schule. Meistens geht politische Bildung ein in den Geschichts- oder Sozialkundeunterricht. Als eigenes Fach ist es oft nur in der Kombination mit Wirtschaft zu haben. Und auch wenn politische Bildung nicht allein in einem Fach passiert, kommt sie oftmals nur am Rande oder sehr spät vor.
Das kann doch aber niemanden zufriedenstellen, oder? Nicht allen liegt die Karriere in einer Partei. Schon klar. Aber Mitglied sein heißt ja nicht, ein Mandat annehmen. Es bedeutet Mitgestalten politischer Inhalte und Maßnahmen. Und auch finanzielle Förderung. Denn die Summe der staatlichen Mittel richtet sich nach a) dem Wahlerfolg und b) der Mitgliedsbeiträge der Parteien. Und wer genug finanzielle Mittel hat, kann besser Wahlkampf machen und der Kreis schließt sich. Muss man nicht mögen, muss man nur verstehen.
Auch die Politik muss etwas tun
Jetzt kann man ganz viel auf alle schimpfen, die sich politisch nicht einbringen. Und ganz viel davon stimmt und passt auf sehr viele Menschen. Aber es gibt auch gute Gründe, warum jemand nicht in Parteien aktiv ist. Allein die Frage der Vereinbarkeit von politischer Aktivität und Familie ist bei vielen ein Problem. Hielt früher die liebende Hausfrau dem Politiker den Rücken frei, ist die Realität heute eine ganz andere. Eigentlich wollen die meisten Parteien mehr Frauen in ihren Reihen haben, nur gibt es diese nicht. Und das nicht aus Desinteresse. Aber welche Alleinerziehende kann sich Abend für Abend für politische Teilhabe freinehmen? Wo bleibt die Kinderbetreuung für Menschen im Amt? Wo die Entlastung, damit wirklich jeder die Wahl hat?
Gerne wird gesagt, Frauen wollen halt nicht politisch sein. Das stimmt so nicht. Was Frauen oft nicht wollen sind aber die männlichen Diskussionsrunden mit Hauen und Stechen, die eingefahrenen Strukturen des gegenseitigen Weg ebenens für männliche Kollegen. Wer ernsthaft Frauen in der Politik will, muss die (Macht-)strukturen verändern und sich nicht auf „wenn die Frauen nicht wollen, können wir auch nix änderen“ ausruhen.
Auch Menschen mit Beeinträchtigungen haben keinen einfachen Zugang zu Mitgestaltung. Gehörlos im Gemeinderat? Mit dem Rollstuhl allein in den Sitzungssaal gelangen? Viel zu selten ist das der Fall. Diversität in der Politik ist generell ein Problem. Die Mehrheit erscheint eher als weiße, männliche, weit über 40 Jahr alte, hetero, gut situierte Bildungselite. Nur, wenn wir es schaffen ein wirkliches Abbild in die Parlamente und Räte zu bringen, fühlen sich Menschen auch verstanden und vertreten. Derzeit stecken wir in einem „wir gegen die“ Dilemma fest, dass sich nicht so leicht lösen lassen wird.
Wege in die politische Beteiligung
Das tolle ist jedoch, dass politische Beteiligung gar nicht ausschließlich bedeuten muss, einer Partei anzugehören oder dort aktiv zu sein. Es gibt viele Wege, politischer zu sein und etwas zu bewegen.
Reden wir endlich wieder über politische Themen mit Familie, Freund:innen und Kolleg:innen. Und keinen Scheu vor Auseinandersetzung. Wir können uneins sein und dennoch respektvoll. Wir können viele Ansichten aushalten ohne den Menschen abzulehnen. Üben wir wieder Diskutieren und sachlich bleiben. Lasst uns wieder eine begründbare Meinung haben.
Wenn ich aber etwas tun will, was irgendwie politisch ist, aber parteiunabhängig? Dann nehmt Teil an Büger- oder Volksentscheid. Schließt euch einem Interessensverband oder einer Bürgerinitiative an.
Geht regelmäßig auf die Ratssitzungen (die sind zum Großteil öffentlich), wenn euch ein Thema besonders interessiert. Präsenz ist ein gutes Zeichen. Außerdem könnt ihr Eingaben und Beschwerden bei Abgeordneten einreichen und mit ihnen reden. Auch eine Option ist, bei Problemen die Medien einzuschalten oder einen Lerser:innenbrief zu schreiben.
Auch Demonstrationen und sogar Petitionen sind eine Form von politischer Beteiligung. Wenn man versteht, dass letztere mehr bedeuten als nur einen Klick zu machen. Petitionen brauchen Zeit, Kraft und Ausdauer. Aktives Einsetzen, Verbündete in der Politik suchen, endlose Gespräche führen, die Gesellschaft sensibilisieren, Medien informieren … all das ist viel Arbeit und braucht viele Unterstützer:innen.
Es gibt so viele Optionen der Beteiligung. Packen wir es an!
So viele Menschen wünschen sich Veränderungen. Sie wollen endlich sehen, dass Politiker:innen ihnen zuhören und sie ernst nehmen. Doch die Idee von „die da oben“ und „wir da unten“ greift zu kurz. Wir können, ja müssen auf vielen Ebenen unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben mitgestalten.
Unsere Demokratie lebt von Diskussion, dem Aushandeln von Lösungen und der Beteiligung möglichst vieler Menschen. Wir sind es, die sie am Leben erhalten und sie mitgestalten. Nicht durch digitale Klicks oder durch Meckern am Esstisch. Sondern durch wirkliche Beteiligung auf unterschiedlichsten Ebenen. Ohne uns geht es nicht.
2 Comments
Also bei uns wird derzeit echt viel über Politik geredet. Neulich war ich in der Trafik und habe tatsächlich mit wildfremden Menschen geredet. Über Ibiza, den Strache und Umweltschutz …. da ist bei uns schon einiges im Gange.
Dieses Jahr kommen dann die Wien-Wahlen. Das wird auch noch interessant.
Die Kinder haben die Ohren offen. Ich kenn kaum ein Kind, das nicht aufpasst, was gerade geschieht.
In Deutschland ist die Lage „noch“ ruhiger, so mein Eindruck.
Da hast Du soooo recht! Ich überlege mir das echt schon lange einer Partei beizutreten. Habe aber ständig Bedenken eigentlich keine Zeit dafür zu haben um richtig mit anpacken zu können.
Ich glaube ich sollte doch nochmal in mich gehen.
Danke für Deinen Stupser!
Gruß, Katrin