Wenn wir über Afrika reden
Einfach nachhaltiger: Zähne putzen II
Nachhaltigkeit, zero waste (ich mag ja den Begriff „less waste“ lieber) und ökologisch-bewusster Konsum sind in aller Munde. Und das ist gut so. Denn wir leben hier über unsere Verhältnisse. Sind quasi dauerhaft auf Pump. Verbrauchen im Mai bereits die Ressourcen vom nächsten Jahr und es ist kein Ende in Sicht.
Es spricht also vieles – nein alles – dafür, unseren Konsum, unser Verhalten zu ändern. Dieses Verprassen von Ressourcen und „alles zu jeder Zeit sofort haben können“ bringt uns an den Rand der Existenz. Und wenn nicht direkt und sofort uns, dann doch andere, die den Preis für unseren Luxus zahlen. Durch klimabedingte steigende Naturkatastrophen, massive Not, Kinderarbeit, Kriege.
Deswegen ist es wichtig, dass wir beswusst konsumieren. Dass wir wissen, was wir tun und vor allem, dass wir weniger davon tun. Viel weniger. Aber …
Nachhaltig Handeln – wer hat viel Zeit für Recherche?
Denn natürlich gibt es ein Aber. Schließlich haben wir zu konsumieren gelernt, aber nicht, was dahinter steht. Und so sind wir relativ blank, wenn wir im Supermarkt vor dem Regal mit zwölf Sorten Schokolade oder sieben Sorten Milch stehen. Sobald wir uns nämlich für den nachhaltigen und fairen Weg entscheiden, müssen wir jede Menge Entscheidungen treffen.
Galt vorher noch vornehmlich der Preis geht es jetzt, wo es uns um Nachhaltigkeit geht, um viel mehr Fragen. Wem gehört eigentlich die Marke? Wie ist das Produkt verpackt? Nehme ich Glas oder Tetra Pack, Karton oder Tüte? Kommt es aus der Region? Aus Europa? Aber was ist mit spanischer Wasserknappheit? Kann ich das Obst dann überhaupt kaufen? Wie kommt es hier her? Mit dem Flugzeug, mit dem LKW? Ist es Bio? Und was bedeuten die Siegel überhaupt? Und ist Bio auch Fair? Bekommt jeder einen guten Lohn und Arbeitsschutz für die Herstellung meines Produkts? Wie viel CO2 stößt es beim Transport in den Supermarkt aus? Wie sind eigentlich die Arbeitsbedingungen und Preisverhandlungen der Supermarkt- oder Discounterkette?
Bäm – und schon kann man (fast) nichts mehr einkaufen, ohne vorher alles durchstudiert zu haben.
Tausend Fragen, reine Überforderung
Und es endet nicht im Supermarkt. Wer nachhaltig Kleidung kaufen will oder muss, der steht genau so vor den Fragen nach fairen Arbeitsbedingungen, Kettenzugehörigkeit, ökologisch vertretbarer Herstellung. Und wie viel Ressourcen verbraucht eigentlich Baumwolle? Wie viel Mikrofasern verliert meine Leggins in der Wäsche? Kann ich überhaupt Lederschuhe kaufen? Und wer gerbt das? Wer färbt die Jeans?
Sollte dann noch ein neues technisches Gerät ins Haus wandern, steht die Frage nach den unzumutbaren Bedingungen zur Gewinnung der wertvollen Metalle im Raum die mein Smartphone so toll machen. Wer schuftet da für mich zu welchen Bedingungen? Und dann die Entsorgung des Altgerätes. Landet das im Recycling? Oder in Ghanas schlimmster Elektroschrott-Hölle?
Überhaupt: Welche Versprechungen hält unsere Recyclingsystem eigentlich? Landet am Ende ein Teil meines Mülls doch in Malaysia und dann im Meer? Verbrauche ich lieber Energie für Glasschmelze oder verschmutze ich den Planeten mit Plastik, dass nie verschwindet?
Wir müssen weg von der Idee des Einzelnen
Wer jetzt schon keine Lust mehr auf Nachhaltigkeit hat oder diverse Stresspusteln bekommt beim Gedanken an den nächsten Einkauf, der kann sich in guter Gesellschaft wähnen. Denn derzeit wird jede Entscheidung – ganz im Sinne der Freiheit des Einzelnen – auf die Konsumentin/den Konsumenten abgeschoben. Wir sollen doch einfach richtig entscheiden. Es gibt sie ja, die besseren Alternativen in Form von Bio Obst, fairer Schokolade und Kleidung.
Doch die Antworten auf die Frage der ernsthaften Nachhaltigkeit und Fairness kann nicht auf den/die Einzelne/n abgewiegelt werden. Versteht mich nicht falsch. Wir alle müssen nach bestem Wissen richtig Handeln. Wir alle sind aufgerufen, besser und weniger! zu konsumieren. Wir alle sind in der Pflicht, nicht Augen und Ohren zu verschließen nur damit wir weiterhin täglich unser 1,99€ Geflügel auf dem Tisch und unser 4,99€ Shirt pro Saison am Leib tragen können.
Aber es ist eine Unverschämtheit, jede Entscheidung auf die Konsumenten abzuwiegeln. Wer vor einem Haufen „Schlecht und Schlechter“ steht, der kann sich nicht gut entscheiden.
Wer hat die Verantwortung für funktionierende Nachhaltigkeit?
Wer also muss eigentlich Handeln und für gute Entscheidungsmöglichkeiten sorgen? Die Politik. Denn sie kann Regelungen und Gesetze erlassen, kann Firmen abstrafen und die Bevölkerung in Sachen Nachhaltigkeit bilden. Und natürlich sind auch die Hersteller gefragt. Sie müssen für bessere Verpackung sorgen, für eine faire Handelskette für die sie Verantwortung tragen (und damit zurück zur Politik) und dafür, dass der Konsumen mit gutem Gewissen einkaufen kann.
Und jetzt kommt die/der Einzelne wieder ins Spiel. Denn wo kein Druck, da keine Bewegung. So lange etwas funktioniert, wird es in der Regel nicht verändert. So lange wir also weiterhin fleißig konsumieren, keine Fragen stellen, uns lieber in Kleinkriegen bekämpfen in Gruppen wie „Glas vs Plastik“ oder „Unverpackt vs Supermarkt“, so lange wird sich nichts bewegen.
Ja wir Konsument/innen müssen handeln. Aber nicht am Regal, sondern auf der Straße, auf dem Stimmzettel, in NGOs und Parteien und in Kontaktformularen. Dort sind wir gefragt. Wir müssen Firmen nach ihren Standards fragen. Nach Innovationen im Bereich Verpackung. Müssen von Politiker/innen Regelungen und Gesetze fordern. Es muss möglich sein, dass wir uns richtig entscheiden können ohne vorab fünf Dossiers über Für und Wider von Verpackungen gelesen zu haben. Oder Jahresberichte zu unfairen Arbeitsbedingungen.
Und der Einzelne ist fein raus?
Natürlich bedeutet das nicht, einfach weiter (oder wieder) blind zu konsumieren. Das wäre Quatsch. Wir alle müssen selber schauen, was wir da so tagtäglich an Nötigem und Unnötigem ins Haus schleppen.
Blinder und hemmungsloser Konsum bis „die da oben“ etwas richten wäre der absolut falsche Ansatz. Wir müssen bewusster konsumieren. Darauf achten, woher Dinge kommen. Auch verzichten. Warten, bis es Lebensmittel aus unserer Region gibt. Und vor allem weniger kaufen.
Denn ja, wir haben eine Verantwortung. Auch ohne akademtisches Wissen. Reiner Konsum ohne Denken geht einfach nicht (mehr)! Selbst wenn jetzt alle Kleidung fair, alles Essen bio und in guter Verpackung wäre – dieses Übermaß an Konsum mit seinen Begleiterscheinungen wie Müll und Ressourcenverbrauch muss aufhören.
Wir dürfen uns nur nicht länger abspeisen lassen mit der Geschichte vom freien und bewussten Konsumenten, der es schon richtig machen wird. Das ist Gerede von denen, die selbst keine Verantwortung übernehmen wollen. Es bleibt nämlich bequem für sie, so lange wir uns gegenseitig an die Gurgel gehen („Wie, du hast verpackte Paprika gekauft!?!“) und es als unsere Aufgabe sehen, uns selbstständig über alle Für und Wider zu informieren. Und vor allem: Wir bleiben eine Minderheit, wenn wir so weiter machen. Die große breite Masse kann (und manchmal will) diesen Aufwand nicht betreiben. Weil es Zeit frisst. Weil es Grundbedingungen braucht um überhaupt alles zu durchblicken. Vor allem aber: Weil es verdammt anstrengend ist.
Deshalb: Druck erhöhen. Den Job an die deligieren, die dafür wirklich zuständig sind. Und Schluss mit den Kleinkriegen. Das ist die Aufgabe jeder/s Einzelnen.