Mein erster Fotokurs. Einmal raus aus der Komfortzone
Wie nachhaltig Handeln uns überfordert
Was kommt uns in den Sinn wenn wir (= Mitteleuropäer*innen) an Afrika denken? Vermutlich an Hitze und Wüste, Armut und Korruption, zu viele Kinder und zu viel Terror. Vermutlich denken wir außerdem an Elefanten, Giraffen und Löwen. Und an das obligatorische hungernde Kind mit der Fliege am Auge – fast möchte ich sagen – ein Klassiker der Afrikabilder.
Viele unsere Assoziationen sind ja per se nicht falsch. Nur eben nicht pauschal für einen Kontinent, wie Afrika es ist, anwendbar. Das wäre nämlich so, als würden wir von Europa als ein kinderarmes Königreich voller Islandschafe und katholischem Glauben reden in dem alle Siesta machen und es im Winter immer dunkel ist. Alles per se vorhanden, aber eben nicht korrekt.
Woher kommt unser Bild?
Warum denken wir also so pauschal? Eigentlich ist es kein Wunder, denn wirklich viel mehr wird uns nicht erzählt. Wann genau ist Afrika – oder eines seiner Länder – schon groß Thema in der Schule? Mal vom alten Ägypten abgesehen. Kaum? Gar nicht? Dabei trennen Europa und Afrika an der engsten Stelle gerade mal 14km. Aber für uns scheint Afrika weit weg. Ein fremdes „Land“, exotisch und arm.
Wir lernen, dass afrikanische Länder Hilfe brauchen und dass von dort Flüchtlinge kommen. Wir sollen Spenden gegen Hunger und lesen von Ebola und Kriegen. Wo welches Land liegt, lernen wir ebenso wenig wir im Fall Südamerikas. Afrika ist hierzulande ein einseitig geprägtes Thema.
Die wahre Größe
Gegen Klischees und pauschale Bilder helfen ja Zahlen und Daten bekanntlich am besten. Deswegen fangen wir damit mal an.
Schaut man sich moderne Weltkarten an, so erscheinen Kontinente und Länder nicht in ihrer wahren Größe. Das geht auch nicht, denn auf Karten wird aus einer Kugel eine Fläche gemacht. Wie groß Länder wirklich sind, kann man sich wunderbar auf theTrueSize anschauen. Afrika erscheint im Atlas als doch eher mäßig groß. Klar, wir wissen, es ist ein großer Kontinent. Doch wie groß, das können wir uns selten vorstellen.
Der Kontinent Afrika hat eine Fläche von 30,2 Millionen Quadratkilometer. Das sind 22% der weltweiten Landfläche. Damit ist er der zweitgrößte Erdteil gleich hinter Asien (44,6 Millionen Quadratkilometer). Also wirklich nicht klein. Von Algier (Algerien) nach Kapstadt (Südafrika) sind es 8000km Fluglinie. Zum Vergleich: Von Algier ans Nordkap (Norwegen) sind es Fluglinie nur etwas mehr als 4000km. Wir reden hier also von riesig, nicht nur von groß.
Kontinent, nicht Land
Wenn wir von Afrika reden, muss uns klar sein, dass wir von einem Kontinent reden, der 55 Staaten (54 abzüglich des nicht anerkannten Territoriums der Westsahara) beheimatet. 53 Staaten sind Mitglied in der 2002 gegründeten Afrikanischen Union. Zum Vergleich: das geographische Europa beheimatet 47 Staaten, lediglich 28 davon sind in der EU.
Auf dem afrikanischen Kontinent leben 1,25 Milliarden Menschen. Der Kontinent teilt sich auf in die Regionen Nord-, West-, Zentral- und Ostafrika und südliches Afrika (nicht zu verwechseln mit Südafrika). Es gibt mehr als 2000 eigenständige afrikanische Sprachen. Rund 50 gelten als größere Sprachen, sie werden also von über einer Million Menschen gesprochen. Der gesamte Kontinent beheimatet eine Vielfalt an Vegetation. Man findet sowohl Regenwälder, Wüstengebiete, Savanen- als auch Trockenwälder. (Quelle: Wikipedia) Das sich dementsprechend auch nicht überall Giraffen und Elefanten finden, sollte eigentlich jedem (?) klar sein.
Unsere Bilder von Afrika
Leider gibt es immer noch eine Reihe von Bildern und Klischees über Afrika und afrikanische Länder. Manche Bilder sind nicht mal ganz falsch, unter den oben genannten Aspekten aber natürlich niemals auf alle Länder des gesamten Kontinents zutreffend. Ich nenne mal ein paar:
Afrika ist ein Land weit weg von uns
Viel zu oft wird von Afrika noch als ein Land gesprochen. Doch wir wissen: 55 Staaten, Kontinent, riesig. Noch dazu ist „Afrika“ nicht weit weg. Maroko, Libyen, Ägypten oder Tunesien liegen ganz schön nah. An der Straße von Gibraltar kann man auf den jeweils anderen Kontinent blicken. Südafrika, Namibia und Tansania hingegen sind wirklich weit weg.
Afrikanische Frauen bekommen sehr viele Kinder
Ja und nein. Oder sind durchschnittlich 2,4 Kinder pro Frau viel? Nein. Und das ist der Durchschnitt für Südafrika und Marokko. Anders sieht es aber in Niger aus. Dort bekommt eine Frau im Schnitt 7,3 Kinder. (Quelle: Gapminder) Es gibt also Länder in Afrika, in denen Frauen sehr viele Kinder bekommen. Interessanterweise hängt die Zahl der Kinder weltweit mit der Bildung der Frauen zusammen. In Südafrika gehen 15-24jährige Frauen derzeit ca. 11,7 Jahre zur Schule. In Niger? Gerade einmal 2,7 Jahre. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Schuljahre aber. Denn die heute 24-44jährigen Frauen gingen in Niger nur 1,7 Jahre zur Schule. (Quelle: Gapminder) Bildung und finanzielle Stabilität sind die Eckpfeiler einer sinnvollen Familienplanung. Und auch wenn in einigen Ländern Afrikas weiterhin sehr viele Kinder geboren werden, so geht laut Gapminder seit 30 Jahren die Zahl kontinuierlich zurück.
In Afrika herrscht der Islam
Nope. In Afrika gibt es die vielen traditionellen afrikanischen Religionen, das Judentum, den Islam und das Christentum. Und noch andere Religionen, die aufgrund ihrer Menge nicht ins Gewicht fallen. Mehrheitlich sind der Islam und das Christentum vertreten. Oft werden auch verschiedene Religionen zusammengefasst zu einem Synkretismus. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)
Alle leiden an Hunger
Das ist vermutlich das gängigste Bild, dass wir von Afrika haben. Und ja, in großen Teilen stimmt es sogar. Menschen in Ländern in Ost- und Zentralafrika leiden Hunger. Gründe hierfür: Dürre (Klima!) und Unruhen/Kriege. Gleichzeitig sind die Zahlen im südlichen und Nord- und Westafrika gering. (Quelle: Deutsche Welle ) Natürlich heißt das nicht, es ist alles gut. Im Gegenteil. Weltweit vergungern täglich Menschen und sehr viele davon leben auf dem afrikanischen Kontinent. Hungernden zu helfen und beispielsweise zu Spenden aufzurufen ist wichtig und richtig. Inkorrekt ist nur die Aussage „Afrika hungert“.
Die haben ja nichts
Jein. Tatsächlich ist der afrikanische Kontinent sehr reich an Rohstoffen. Erdöl (zB Libyen, Angola, Nigeria, Tschad), Gold und Diamanten (zB Südafrika, Botswana, Sierra Leone) oder Kupfer (zB Kongo, Sambia) könnte einige Länder zu stabilen und funktionierenden Staaten werden lassen. Doch leider bringen genau diese Bodenschätze gepaart mit Machtinteressen und ethnischen/religiösen Spannungen vor allem eines: Krieg und Armut. Das Geld aus den Rohstoffen landet nämlich meist nicht bei der Bevölkerung sondern in den Taschen einiger weniger. Dies nennt man auch „paradox of plenty“ oder „Ressourcenfluch“. (Quelle: Gesichter Afrikas) Zudem ist der Rohstoffexport (und tlw Tourismus) oft die einzige Einnahmequelle. Die Preise bestimmen dabei dann andere.
Alle wollen nach Europa
Tatsächlich ist es – wie sollte es auch anders sein – in Afrika genau so wie auf allen anderen Kontinenten, in denen Menschen auf der Flucht sind: Das erste Ziel ist die direkte Nachbarschaft. So sind zwar 16,3 Millionen Menschen aus Afrika auf der Flucht (UNHCR Report 2016), davon allerdings gelten „nur“ 5,1 Millionen als Flüchtlinge im eigentlichen Sinne. Die restlichen 11,2 Millionen sind Binnenflüchtlinge, haben also ihr Land nicht verlassen. Wohin zieht es diese 5,1 Millionen Flüchtlinge? Zwei Drittel von ihnen verteilen sich auf fünf Aufnahmestaaten: Uganda, Äthiopien, Kenia, Tansania und die Demokratische Republik Kongo. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)
Nicht zuletzt Regime wie in Libyen sorgen dafür, dass Menchen nicht nach Europa kommen. Dort werden Flüchtlinge in Internierungslagern zu Zwangsarbeit verpflichtet, es kommt zu Sklaverei, Vergewaltigung und brutalster Gewalt. (Quelle: Deutsche Welle und Ärzte ohne Grenzen)
Der lange Schatten des Kolonialismus
Der afrikanische Kontinent blickt auf eine lange und grausame Kolonial- und Menschenraubgeschichte zurück. Doch zu glauben, dass sei alles lange her und daher kein Thema mehr, der irrt. Erst 1990! wurde der letzte afrikanische Staat (Namibia) unabhängig. Davor gehörte er zu Südafrika (bis 1990 Apartheitsregime), welcher Namibia 1915 als ehemalige deutsche Kolonie übernahm. Überhaupt ist gerade Namibia für uns ein gutes Beispiel, wie sehr Kolonialzeit nicht aufgearbeitet wird. Denn während der deutschen Herrschaft kam es nach Aufständen der Herero und Nama zu Brunnenvergiftungen und zerstörten Nahrungsmitteln durch die deutschen Kolonialbesatzer. Die Überlebenden Herero und Nama kamen in Konzentrationslager und mussten Zwangsarbeit leisten. Man schätzt die Opferzahlen allein bei den Herero auf 60.000 bis 80.000. Den von Historikern als Genozid bewerteten Krieg erkennt die Bundesregierung bis heute nicht an. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)
Die Folgen der Kolonisierung, Ausbeutung und Einteilung Afrikas vor und während des „Wettlaufs um Afrika“ hat bis heute tiefe Spuren und Wunden hinterlassen. Denn große Teile der Konflikte entstanden durch die Reißbretteinteilung des Kontinents ohne Rücksicht auf Kultur und Sprachen der Bevölkerung und dem vorausgegangenen Sklavenhandel, bei dem schätzungsweise 12 Millionen Menschen verschleppt wurden.
Wissen hilft den Blick ändern
Wusstet ihr eigentlich, dass im 2. Weltkrieg tausende verfolgte Polen in afrikanischen Ländern (damals unter britischem Mandat) Zuflucht suchten? Dass es 2018 einen historischen Friedensschluss zwischen Eritrea und Äthiopien gab? Dass es in Ruanda (bereits seit 2008) und Kenia ein Verbot von Plastiktüten gibt? Oder dass es 22 afrikanische grüne Parteien bei den „Global Greens“ gibt? Vermutlich nicht. Ich jedenfalls wusste das nicht.
Es ist gut, den eigenen Blick zu weiten. Wissen erlangen ist immer die beste Möglichkeit, Vorurteile abzubauen und Zusammenhänge zu verstehen. Deswegen sollten wir Europäer*innen uns viel mehr mit dem afrikanischen Kontinent beschäftigen. Und zwar als Lernende, nicht als Lehrende.
Wer einen Blick auf Politik und Gesellschaft werfen möchte, der kann auf AllAfrica verschiedene Artikel aus afrikanischen Zeitungen und Nachrichtensendern lesen. Diese werden dort gesammelt und unkommentiert (mit Quellenverweis) veröffentlicht. Egal ob freie, oppositionelle oder regierungstreue Nachrichten. So ergibt sich ein interessanter Einblick, wer worüber schreibt. Außerdem veröffentlicht AllAfrica auch eigene Artikel. Leider sind nicht alle Artikel frei zugänglich. Für einen Einblick ist es aber sicher ausreichend. Wer lieber auf deutsch liest, der findet bei der Deutschen Welle immer wieder aktuelles über den afrikanischen Kontinent.
Alle hier gezeigten Fotos stammen übrigens aus Namibia. Ich selbst war noch in keinem afrikanischen Land und habe daher eine Freundin und meine Schwägerin um Fotos gebeten. Beide haben ausgerechnet das gleiche Land bereist. Somit kann eine echte Vielfalt hier nicht dargestellt werden. Wer gerne noch mehr sehen möchte als das, dem lege ich auf Instagram den Account @everydayafrica ans Herz. Hier zeigen afrikanische Fotograf*innen alltägliche Bilder aus verschiedenen Ländern. Auch interessant, wenn auch kleiner: #theafricamedianevershowsyou.
Afrika – Was genau meinen wir eigentlich?
Afrika ist ein riesiger Kontinent und mit seinen unterschiedlichsten Staaten und Regierungen weniger homogen, als es uns manche Erzählung weismachen will. Daher ist es wichtig, ein differenziertes Bild zu zeichnen.
Wenn wir pauschal von Afrika reden, sollten wir uns gut überlegen, was genau inhaltlich rüber kommen soll und ob unser Anliegen nicht eigentlich ein einzelnes oder einige wenige Land/Länder betrifft. So wie wir nicht von Pyramiden reden, wenn wir Kenia meinen, sollten wir nicht Giraffen zeigen, wenn wir von Ghana sprechen oder pauschal von verhungernden Kindern in Bezug auf Afrika reden. Es gibt eben nicht „das“ Afrika und nicht „die“ Afrikaner*in. Genau so wenig, wie es „das“ Europa und „die“ Europäer*in gibt. Und auch, wenn für viele Länder und Regionen ähnliche Situationen gelten (Diktatur, Armut, Krieg) so muss doch jedes Land für sich betrachtet weren. Pauschal über einen so inhomogenen Kontinent zu reden führt nur zu irreführenden Annahmen.
Und je öfter wir das beherzigen, je mehr wir unsere „ah wurscht, passt schon“ Überheblichkeit über Bord werden (übrigens egal zu welchem Land oder Kontinent), desto eher können die ewig alten Klischees und Pauschalitäten abgebaut werden. Reden wir doch lieber konkret über Länder in denen Menschen hungern oder vom Krieg verfolgt werden. Und auch konkret über die Länder, deren Bevölkerung versorgt und deren Bildung gut ist. Es gibt diese Länder auf dem afrikanischen Kontinent. Schauen wir genau hin, machen wir uns ein Bild. Und lernen wir mehr über unseren Nachbarkontinent, der weißgott genug hat von unserer eurozentrischen Sicht.
Alle Rechte an den gezeigten Bildern liegen bei Kathrin Lüddeke und Mirkka Lembke.
1 Comment
[…] https://wolkenguckerin.de/wenn-wir-ueber-afrika-reden/, abgerufen am […]