Mach doch mal Pause
Tötet Instagram den Blog?
Ich kenne einige Familien, in denen Kinder in der Pubertät sind. Jeglichen Geschlechts. Jeglichen Alters zwischen 13 und 18. Ich lese außerdem immer wieder Geschichten, Instagram und Blogbeiträge sei Dank, über „Pubertiere“. Selbst ein Buch dazu habe ich schon gelesen, nämlich: Das Pubertier von Jan Weiler. Und ich muss sagen: Es passt so gut wie alles nicht so recht zu uns.
Versteht mich nicht falsch. Ich glaube das meiste sofort und würde niemandem seine oder ihre Erfahrung mit erwachsen werdenden Kindern absprechen. Ich finde mich nur nicht wirklich darin wieder. Und vielleicht geht es anderen Eltern ja auch so. Deshalb möchte ich einmal aus meinem Erfahrungsschatz mit einer inzwischen 18-Jährigen und einem 15-Jährigen schöpfen und aus dem Leben mit beiden (plus 10-Jähriger Schwester) berichten.
Die typischen Annahmen und wie ich es für uns einordnen kann.
Aussage 1: Ab der Pubertät wirst du nicht mehr gebraucht.
Das, oder so ähnliches, wurde mir öfter gesagt. Man – also die Heranwachsenden – wollen nichts mehr von Mama und Papa, ausser vielleicht Essen und Geld. Sie wollen ihre Ruhe und alles alleine machen. Entweder sind sie nicht da oder in ihrem Zimmer (schlafend). Meine Erfahrung: Nein. Also Jein. Sie sind öfter in ihren Zimmern, aber sie brauchen mich.
Sie nutzen mich zum reden, wollen Feedback, sich auskotzen. Vor allem die Älteste braucht ein Gegenüber zum schimpfen über Gott und die Welt. Muss sich artikulieren und ihre Erfahrungen einordnen. Da sie sehr introvertiert ist, macht sie das sehr selten mit Freund:innen, sondern mit mir. Auch der 15-Jährige möchte Zeit mit uns verbringen. Will gemeinsam Fernsehen, Spiele spielen, braucht einen Ansprechpartner. Für ihn zählt noch mehr die Anwesenheit. Er kommt nicht einfach so, er braucht Zeit bis er mit Sorgen und Fragen rausrückt. Schon immer. Er braucht Zuspruch für die Schule und immer mal wieder jemanden zum rum blödeln.
Aussage 2: In der Pubertät knallen die Türen und Worte sollen verletzen.
Ich habe keine Ahnung wieso, aber bei uns kommt das nicht. Bisher. Möglicherweise steht das ja noch bevor. Kind 2 hat noch ein paar Jahre und Kind 3 generell die Phase noch vor sich. Aber tatsächlich knallt hier niemand Türen mehr, seit die Frustjahre so um das 5. – 8. Lebensjahr rum sind. Es wird sich verbal nicht abgegrenzt außer mit ein paar blöden Sprüchen. Ja klar, Sprüche kloppen. Das ist grad ganz groß beim 15-Jährigen. Aber immer in Grenzen.
Rat wird zumindest höflich angehört (wie viel links rein, rechts raus geht, weiß ich natürlich nicht) und niemand schreit hier rum. Regeln sind klar und im Zweifel wird diskutiert. Es besteht kein Bedarf (und wir fragen immer mal) nach Veränderung, der Status Quo scheint ok. Keine der beiden will sich aktiv abgrenzen oder zeigt und, wie blöd man uns findet. Eher das Gegenteil, des öfteren wurde schon von schrecklichen Eltern anderer Heranwachsender erzählt. Das schreibe ich mir übrigens nicht zu gute. Ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass wir besonders toll sind. Es ist einfach wie es ist. Dafür tragen wir andere Päckchen.
Aussage 3: Du bist deinem pubertierenden Kind peinlich.
Die bekannteste Erzählung zur Pubertät in meiner Familie ist die meiner Cousine, welche auf dem Volksfest an ihren Eltern vorbei ging und so tat, als würde sie sie nicht kennen. Wir finden das sehr lustig, auch nach Jahren noch (sie ist inzwischen längst erwachsen). Tatsächlich schwingt da ja so etwas wie Peinlichkeit mit. Meine Eltern sind mir peinlich. Mit ihnen gesehen werden ist mir peinlich. Egal, ob man eigentlich sonst gut mit ihnen klar kommt, in der Öffentlichkeit ist es peinlich. Oder uncool. Ein bisschen wie das Pubertäts-Upgrade von „Keine Küsschen in der Öffentlichkeit!“
Auch das haben wir nie so erfahren. Also das Küsschen Ding schon, zumindest ein bisschen. Aber ich knutsch die Kinder eh nicht so oft ab. Aber man verbringt – auch öffentlich – gern Zeit mit uns, findet uns nicht übermäßig peinlich (ich wette, ein bisschen manchmal schon) und wir stören auch nicht durch unsere Anwesenheit. Vielleicht sind wir auch einfach unwichtig. So lange wir sie in Ruhe lassen. Ich schätze, sollten wir zumindest den Mittleren nerven, wäre mit Entspannung auch Schluss.
Aussage 4: In der Pubertät werden die Kinder egozentrisch.
Auch schon gehört. Plötzlich ist alles egal, nur das Ich zählt. Schluss mit Verantwortung, schluss mit Rücksicht. Jetzt geht es um mich. Ums Feiern. Um Freund:innen. Um Freiheit um jeden Preis. Manchmal denke ich, ein bisschen davon wäre nicht schlecht. Stattdessen haben wir im Haus Weltschmerz, Zukunftsangst und mega Verwantwortung. Beide nehmen auf ihre Weise sich selbst zurück. Die eine im Bezug zur Welt. Der andere im Bezug zur kleinen Schwester. Hier will niemand feiern, rebellieren, austesten, entdecken, sich selbst der/die nächste sein. Beides sind Extreme, vielleicht auch einfach beides normale Züge von Heranwachsenden, je nach Wesensart. Ich wünschte mir manchmal mehr Leichtigkeit statt Sorge, aber am Ende sind sie, wie sie sind. Und damit gut.
Aussage 5: Pubertät heißt raus von zuhause und die Welt entdecken.
Gehört ja eigentlich zur Abgrenzung. In der Pubertät will man weg vom Elternhaus. Die Welt erkunden. Während viele, vor allem jetzt so um die 17/18 Jahre rum los ziehen und die Welt entdecken – mit Führerschein, Auszug, Freiheiten sitzen meine im Nest und schauen sich das ganze von dort aus an. Lernen durch zugucken ist hier wohl das Motto. Die Welt ist groß und für manche ein Abenteuerspielplatz. Für andere ist es schon Abenteuer genug, dabei zuzusehen. Damit sind sie natürlich auch noch weiter an uns gebunden und gerne in Kommunikation. Den Punkt, doof zu sein, haben wir noch nicht erreicht. Natürlich sind sie schon mehr unterwegs. Treffen sich mit Freund:innen ohne dass ich die besonders kennen würde. Aber grundsätzlich sind die Radien sehr klein und überschaubar. Keine schlaflosen Disconächte (auch vor Corona nicht), kein Dating, keine Parties.
Aber wie ist es denn nun bei uns mit der Pubertät?
Eigentlich ganz ok. Und verschieden. Einer schläft viel. Einer jammert viel. Die Welt schmerzt stark. Und das Thema „Was will ich mal werden?“ drückt auf die Laune. Wir diskutieren viel (auch über grundlegende Dinge) und handeln und feilschen – zum Beispiel beim Thema aufräumen. Damit am Ende alle Schmerzgrenzen sich eben genau in diesen halten: In Grenzen. Je nach Laune wird man angepampt, danach sich meistens entschuldigt.
Manchmal nerven sie mich. Einfach nur so. In ihrer Verpeiltheit und Hilflosigkeit. Dann geht das Anpampen-Entschuldigen-Spiel in die andere Richtung. Die Abnabelung passiert maximal langsam, aber sie passiert. Die gefühlte Existenz in der Wohnung schwankt regelmäßig zwischen „unmittelbar bemerkbar“ und „ist XY eigentlich zu Hause?“ Es wird hart gehardert mit dem Erwachsen werden, noch ist keiner der zwei wirklich glücklich damit. Man könnte es als Fazit so ausdrücken: Wir durchleben die Pubertät in Slow-Mow.
Im Übrigen tippe ich darauf, dass die Dritte im Bunde anders sein könnte. Mehr so, wie man es kennt aus all den Pubertäts-Eltern-Geschichten. Ich bin jedenfalls gespannt. Weil ich dieses Heranwachsen und immer mehr „jemand sein“ wirklich feiere. Ich liebe es. Das Diskutieren, das Platz suchen und finden, das Begleiten bei Herausforderungen, das Loslassen. Ich liebe die klugen und (entschuldigt) blöden Gedanken und Sprüche meiner Großen. Liebe die Sprüche-Battle am Esstisch, das gegenseitig trietzen. Liebe die Verantwortung, die sie übernehmen und die Gedanken, die sie über sich, ihre Pläne und Zukunft haben – egal wie konkret oder wage sie sind.
Pubertäten statt Pubertät
Ich lehne mich nicht soweit aus dem Fenster, dass ich behaupten würde, es wäre entspannt. Wir kommen alle an Grenzen. Können zu bestimmten Zeiten Dinge besser ab als zu anderen. Ich kann nicht täglich gut mit Weltschmerz oder Diskussionen um Duschfrequenzen. Ich bin nicht immer entspannt. Und die Kinder auch nicht. Auch sie kommen an ihre Grenzen und halten uns nicht jeden Tag gleich gut aus.
Übrigens halte ich das ganze auch nicht für besser als die anderen Versionen von Pubertät und Heranwachsen. Wäre ja auch mega überheblich. Ich glaube einfach, es gibt sehr viele verschiedene Varianten dieser Zeit. Was mir nur auffällt ist die Dominanz einer Variante in den Erzählungen. Und häufig verläuft diese Erzählung auch öffentlich und wenig wertschätzend gegenüber den Betroffenen.
Wir sollten mit unseren Kindern in dieser Zeit wertschätzender sein. So wie wir ja längst verstanden haben, dass wir uns nicht lustig machen über Kinder in der Trotzphase, sollten wir auch mehr darauf achten, wie wir – vor allem öfftenlich – über unsere Heranwachsenden reden. Sie bekommen das mit und ich denke, es schmerzt als irrationales Pubertier betitelt zu werden. Zumal sie ja keinerlei Wahl haben. Sie haben sich die Veränderung der Pubertät nicht gewünscht und sie überkommt sie einfach. Oftmals wünschen sie sich ja nicht mal erwachsen zu werden. Nachsicht und Geduld ist da wahrscheinlich der beste Weg.