Sechs Tage auf dem Schluchtensteig
Leben ohne Auto – Corona Edition
Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. So könnte man 2020 bisher gut beschreiben. Jedenfalls in Sachen Planung. Wer möchte darf kurz mit mir hysterisch lachen, dass wir just für dieses Jahr ERSTMALIG weit vorab Urlaub, nämlich auf Borkum, geplant haben. Machen wir sonst nicht, weil wir uns nicht einigen oder festlegen können. Na und wie alle wissen, dann kam der März und damit die Probleme.
Für Pfingsten 2020 hatten wir bereits im Herbst 2019 eine Ferienwohnung auf Borkum gebucht. Weil bei Nordsee muss man schnell sein. Kurzfristig gibt’s nix oder nur in mega teuer. Und auch wenn wir es kaum glauben konnten (und ich zugegebenermaßen auch zwiespältig war, was meine Gefühle dazu sind) durften wir alle pünktlich zu den bayrischen Pfingstferien innerhalb Deutschlands Urlaub machen. Jey! Ich hatte den Urlaub ja bereits abgeschrieben, aber reserviert ist reserviert und Storno nur bei Schließung – also ging es für uns in den Norden. Mit gemischten Gefühlen.
Wie wird Urlaub unter Corona? Was hat überhaupt geöffnet? Wie finden das die Insulaner, immerhin sind sie ja doch gut isoliert gewesen. Wird man uns freudig erwarten oder eher skeptisch auf unser Verhalten achten? Der klick auf die Bokummer Webseite jedenfalls war meine Tagesübung in der Woche vor Urlaubsantritt.
Von München nach Borkum – Auto statt Zug
Geplant war, mit dem Zug über Hannover (mit Übernachtung) bis zum Fähranleger zu fahren. Das geht normalerweise auch super. Leider war der Fahrplan beim Buchen aber noch eingeschränkt, sprich die für uns passenden Züge fuhren nicht. Auch der Fährfahrplan war ein anderer und das Hotel hatte noch immer geschlossen. Dazu kam dann meine Angst, wie die Abstandsregeln im ICE bitte eingehalten werden sollen ohne Reservierungspflicht oder max. 50% Auslastung? Ich muss sagen, dass Konzept der Bahn überzeugt mich bis heute nicht. Also, alles komliziert und gepaart mit einem seltsamen Gefühl nach dem Lockdown plötzlich zu reisen. Schlussendlich haben wir uns ein Auto gemietet für beide Fahrten. Denn ein eigenes haben und brauchen wir normalerweise nicht. Wie das geht, habe ich hier schon einmal erzählt. Obwohl wir beide nicht gerne Auto fahren und dabei ein schlechtes Gewissen hatten war es eine gute Wahl, weil es uns tatsächlich ein Gefühl von Kontrolle über Kontakte gab.
Ich kann hier wohl verraten, dass es 2020 zu historisch niedrigen Staulängen kam in den Pfingstferien. Denn normalerweise staut es sich unfassbar krass in den zwei Wochen. Gen Norden wie gen Süden. Eigentlich ein Wahnisnn und definitiv ein Grund, das Auto stehen zu lassen. Was wir ja gemacht hätten, wenn nicht … ah ok ich fange wieder an mich zu rechtfertigen. Jedenfalls, „dank“ der Beschränkung auf 50% Bettenauslastung in Niedersachen und der unmittelbarkeit zum Lockdown in Bayern war sehr wenig Verkehr. Gut für uns. Immerhin etwas.
Die Jugendherbergen rocken das Konzept
Übernachten mussten wir trotzdem irgendwo, denn der Weg war einfach zu weit für uns. Wir sind nicht trainiert lange Auto zu fahren und die letzte Fähre legt um 17 Uhr ab. Sportlich, sportlich. Um wenigstens etwas gutes zu tun, buchte ich auf Übernachtungen in Jugendherbergen. Denn die haben unter Corona richtig gelitten, weil ihnen zunächst kein Finanzpaket zugedacht wurde. Da Jugendherbergen vor allem von Gruppenreisen (Schulen, Vereine …) leben, wird das ganze Jahr für sie sehr schwierig. Wir wählten Fulda und in Bad Kissingen als Zwischenstopp aus. Erstaunlich war, dass viele Jugendherbergen noch geschlossen waren, vermutlich wegen der Hygienekonzepte. In Bad Kissingen waren wir die Nacht über sogar komplett allein in der riesigen Herberge, in Fulda waren viele Reisende auf Zwischenstopp untergebracht und es herrschte ordentlich Betrieb. Beide hatten ein durchdachtes Sicherheitskonzept und auch wenn man Umwege gehen und lange anstehen musste fürs Frühstück, so entstand doch ein sicheres Gefühl. Leider bringen Hygienemaßnahmen auch immer sehr viel Müll mit sich. Sehr viele Lebensmittel wurde mit Folie abgedeckt oder in Einzelportionen aus Plastik verpackt.
Borkum nach dem Lockdown
Nach Borkum geht es mit der Fähre. Oder dem schnelleren Katamaran. Der fuhr aber nicht wegen Corona-Fahrplan. Schade. Denn das hieß für uns 2 statt 1 Stunde(n) Schiff mit Maskenpflicht. Während die Besatzung auf der Hinfahrt noch mit freundlichen Durchsagen daran erinnerte, war die Besatzung auf der Rückfahrt schon wesentlich deutlicher. Das Problem ist einfach, dass der Fährgesellschaft die Betriebserlaubnis entzogen werden kann, wenn sich die Passagiere nicht an die Hygieneregeln halten. Die besagten übrigens auch ein Einbahnstraßen-Konzept im Schiff. Dass das nicht jede:r verstand und Pfeilen nicht folgen kann, hat mich doch erstaunt. Genau so, wie schnell die Abstandregelungen vergessen sind, wenn es heißt „Wir sind gleich da“ und alle zu ihren Koffern pilgern, als würde man einen Preis für den ersten von Bord bekommen.
Besser, aber erstaunlich voll besetzt war es dann in der Bokumer Kleinbahn die Gäste in den Ort fährt. Da war schon ordendlich was los. Man möchte sich gar nicht vorstellen, wie es bei 100% Auslastung ist. Denn tatsächlich galt auf den Inseln wie in Niedersachsen allgemein: Maximale Auslastung von 50% und bestenfalls eine Woche Übernachtung pro Ferienwohnung bzw Pausen zwischen den Belegungen, wenn kürzere Übernachtungszeit. Dass das nicht zu Freude bei den Insulanern geführt hat, kann sich jeder denken. Wer zwei Ferienwohnungen hat, darf nur eine belegen und die dann auch nicht durchgehend. Darüber haben sich einige in Gesprächen beschwert. Wobei es oft auch einfach sehr kompliziert klang. Eine Insel, die am Ende hauptsächlich von Tourismus lebt, braucht halt eben auch diese. Da kann man schon verstehen, dass jede Lockerung mit Erleichterung gefeiert wird.
Klar war uns, dass Borkum zwar wieder freudig Touristen erwartet, aber nicht alles wie gewohnt geöfnet ist. Das Spaßbad hatte (wie Bäder in ganz Deutschland) noch geschlossen. Für das Aquarium musste man sich für ein Zeitfenster anmelden und Kutschfahrten wurden nur noch im Familienverband angeboten. Minigolf und Fahrradverleih waren aber geöffnet, alle Geschäfte und fast alle Restaurants ebenso.
Außerdem waren Wattwanderungen möglich und das Leihen von Strandkörben stellte überhaupt kein Problem dar. Sie standen halt nur weiter auseinander. Da wir vor allem ausruhen wollten, reichten uns einfache Dinge wie buddeln, am Stand sitzen und lesen, in den Sonnenuntergang gucken, Drachen steigen lassen und mit Leihrädern fahren völlig aus, um den Urlaub zu genießen. Man kann nämlich herrlich viel Radfahren auf der 31 qkm großen Insel. Wir erkundeten die Insel ausgiebig und belohnten uns mit Tee und Kuchen. Ja auch Kuchen. Denn es gibt ein Café, dass veganen Kuchen anbietet. Ansonsten gibt es auf Borkum wenig veganes. (Brat)Wurst und Milchreis waren die immerwiederkehrenden Köstlichkeiten aller Restaurants.
Eine Wattwanderung haben wir dann auch gemacht, und zwar mit Peter de Buhr. Den kann ich euch nur ans Herz legen, weil er so ein netter und kurzweiliger Wattführer ist. Auch hier natürlich immer mit Abstand aber dank Frischluft und Wind ohne Maske. In unserer Woche hatten wir dafür den perfekten Tag mit Sonne satt gewählt (natürlich total geplant, ist ja klar). Wir lernten, wie Muscheln sich verbuddeln, sahen uns einen Wattwurm und einen Krebs an und lernten einiges über das Watt und seine Tücken.
Inselglück trotz Pandemie
Für mich war der Urlaub Gold wert. Wir hatten Gelegenheit durchzuschnaufen, nach Monaten mal etwas anderes zu sehen und außerdem wieder ein Stück in die Realität zurück zu gehen. Denn während des Lockdowns hat sich ein Unwohlsein in Gegenwart von anderen eingeschlichen. Es hat mich erschreckt, wie schnell das ging. Wie schnell man Menschen in der Nähe als Problem sieht. Durch den Urlaub konnte ich das Gefühl etwas abbauen. Natürlich blieben die Regeln und Maßnahmen, aber zu sehen, dass sich die meisten daran hielten und dass man willkommen war hat sehr viel zur Entspannung beigetragen.
Trotzdem merkt man einfach, wie weniger unbeschwert so ein Urlaub ist. An die Maske denken, lieber Bier auf dem Balkon als an der Strandbar trinken, abgelegene Abschnitte am Strand suchen, ausweichen … es ist eben anders. Fand man vorher vielleicht den Trubel und das Leben auf den Straßen schön, so fühlt es sich jetzt falsch an.Ich hoffe, dass sich das (egal ob im Urlaub oder daheim) wieder legen wird. Aber so lange die Pandemie nicht beendet ist, so lange wird uns das Thema wohl verfolgen. Egal ob auf einer Insel oder beim Einkaufen in der Großstadt. Egal ob bei der Frage nach Festen oder Schule.
So schluss jetzt aber mit den Gedanken. Borkum ist einfach schön. Punkt. Die Leute sind herzlich und der Wind pustet ordentlich. Es gibt Sand satt und wer nicht grad mega action sucht, sondern eher ruhiges Verweilen, der wird dort fündig. Eine Ferienwohnung im Ort ist praktisch und dank super süßem Bioladen und den üblichen Supermärkten kann man sich herrlich selbst verpflegen und ruhige Tage genießen.
Ich hoffe, meine Bilder geben das wieder. Und vielleicht kommen wir 2021 nochmal wieder? Dann aber in der Nebensaison, denn mit 100% Auslastung wäre mir die Insel zu voll.