Ein Jahr keine Kleidung kaufen. Der erste Kauf nach fünf Monaten und ein Bescheisserle zum Geburtstag. #IchKaufNix
Ein Jahr keine Kleidung kaufen. Second Hand als Alternative im Umgang mit Konsum? #IchKaufNix
Individuelle Nachhaltigkeit bzw. die Verantwortung der*des Einzelnen hat einen Wandel vollzogen. Noch vor ein, zwei Jahren wurde die Rettung der Welt durch individuelles Handeln propagiert, auch gerne zum Nutzen der großen Player. Tipps und Tricks für einen nachhaltigeren Alltag schossen wie Pilze aus dem Boden (auch hier) und wehe jemand mit nachhaltigen Zielen zeigte auf Social Media ein „Fehlverhalten“. Shitstorm garantiert.
Inzwischen wird das Abwälzen der Verantwortung auf das Individuum sehr kritisch beäugt. Die Grenzen des Machbaren werden erkannt und Probleme benannt. Manchmal entwickelt sich sogar eine Tendenz, gleich gar keine Verantwortung mehr an die*den Einzelne*n abzugeben. Weil ja Industrie und Co in Verantwortung zu nehmen sei. „Die da oben“ müssten halt mal … und so lange die nicht, mache ich auch nicht.
Individuelle Nachhaltigkeit ist möglich, hat aber Grenzen
Für mich ist klar, dass beide Extreme nicht zielführend sind. Und ich vermute, die meisten sehen dies genau so. Wir werden als Einzelne nicht die Welt retten, wir können uns aber genau so wenig zurücklehnen, weitermachen wie bisher und auf andere mit dem Finger zeigen. Vor der eigenen Haustür kehren und gleichzeitig anderen Verantwortung geben schließt sich nicht aus. Allerdings kann ersteres aus vielen Gründen sehr frustrierend sein. Wenn wir an Grenzen stoßen. Und die gibt es zu genüge.
Zeitliche und finanzielle Grenzen der individuellen Nachhaltigkeit
Ganz vorne dabei auf dem Frustlevel stehen die eigenen Ressourcen. Wenn ich Tag für Tag am Anschlag laufe, keine Zeit habe neben Broterwerb und Carearbeit, dann kann ich viele nachhaltige Dinge nicht tun. Einkochen, selber machen, zu bestimmten Geschäften gehen, Flohmärkte abklappern. Gerade erst hat Celsy einen spannenden Text zum Thema Second Hand geschrieben, der die Aspekte Klassismus und Nachhaltigkeit verbindet.
Auch Geld ist oft ein Thema. Zwar gibt es Stimmen, die sagen Minimalismus und Nachhaltigkeit ist kein Geldfresser. Dennoch sind viele Anschaffungen anfangs teuer und müssen auf Praktikabilität (Stichwort Zeit) erprobt werden. In meinem Artikel „Muss man sich ein nachhaltiges Leben leisten können“ habe ich diese Aspekte bereits einmal beleuchtet.
Gerne wird das Argument genommen, man müsse ja nicht mit dem Trend gehen und schicke neue Dinge kaufen sondern lieber nach „use what you have“ verfahren. Das ist im Prinzip richtig und trotzdem noch ein Problem. Ein Problem in einer Gesellschaft, die großen Wert auf die Ästhetik der Dinge legt. In der „use what you have“ bei finanzstarken Menschen cool, bei finanzschwachen ein Stigma der Armut ist. Daran kann mensch (am besten die gesamte Gesellschaft) arbeiten, aber das braucht Nerven und Geduld. Wer kein Geld übrig hat, der hat auch keinen Puffer für Fehler.
Das heißt aber nicht, dass Menschen mit wenig Ressourcen gar nicht nachhaltig handeln können. Es sind ihnen nur Grenzen gesetzt, die sie selbst nicht uneingeschränkt bestimmen können. Es scheitert nicht am Willen. Das müssen wir uns fest hinter die Ohren schreiben und hier den Schritt auf eine höhere Ebene, weg vom Individuum gehen.
Rein funktionale Grenzen der individuellen Nachhaltigkeit
Gehen wir davon aus, es gibt Geld und Zeit um sich dem Thema Nachhaltigkeit in Ruhe zu widmen, dann kommen wir oft genug dennoch an Grenzen. Diese sind real, aber werden im Kopf schnell größer als sie sind.
Nehmen wir das Beispiel „Haarseife/festes Shampoo“. Daran scheiden sich nämlich die Geister. Für die einen funktioniert es auf Anhieb. Andere brauchen mehrere Versuche, bis sie das richtige Stück finden (und da sind wir wieder bei finaziellen Ressourcen). Und dritte geben es irgendwann einfach auf, weil es wenig praktikabel oder zufriedenstellend ist.
Aktuell merke ich das bei mir selbst am Beispiel Geschirrspühltabs. Nachdem unsere Maschine ständig Störungen im Wasserablauf meldete, probierten wir diverese Dinge aus und kamen am Ende zu der ernüchternden Erkenntnis, dass es am ökologischen Spühlmittel liegt. Wie frustrierend. Und dieser Frust, jetzt zumindest auf unbestimmte Zeit wieder die Chemiekeule kaufen zu müssen, vernebelte die vielen anderen Punkte, an denen ein nachhaltigeres Leben funktioniert.
Bei allen Grenzen brauchen wir aber auch Ehrlichkeit uns gegenüber
Denn nicht jede*r hat die gleichen Grenzen. Manche von uns haben sogar sehr wenige. Und diejenigen mit den meisten Möglichkeiten sind leider auch diejenigen mit dem größten Fußabdruck. Weil dort wo Geld und Zeit ist, beides meist für Verbrauch und Konsum genutzt wird. Das heißt für die unter uns, die Ressoucen haben, dass wir unsere Grenzen genau anschauen sollten und überlegen, welche verrückbar oder auflösbar sind.
Das erfordert leider harte Ehrlichkeit mit uns selbst. Wo verstecke ich mich hinter einer vermeindlichen Grenze, weil es unbequem wird? Rede ich mir ein Nicht-Können ein, weil der Status Quo einfach sehr gut funktioniert? Während wir uns also bewusst werden, dass Menschen Grenzen gesetzt sind in ihrem individuellen Handeln, muss uns gleichzeitig genau so bewusst werden, dass manche von uns individuell mehr tun müssen und können als andere und damit eine Verantwortung tragen.
Individuelle Nachhaltig ist kein Wettlauf um Perfektionismus
Jetzt denke ich noch mal an Haarseife und Geschirrspühlmittel zurück. Warum frustriert und demotiviert uns vermeintliches Scheitern eigentlich so? Der Reflex „Dann eben nicht!“ kommt wesentlich schneller als uns lieb ist. Vermutlich liegt es daran, dass es uns schwer fällt zu differenzieren und nicht nur in Extremen zu denken. Denken wir an die klassische Aussage: „Vegan Essen könnte ich nicht, ich liebe Käse.“ Ja, so what? Dann iss vegan + Käse. Damit hast du doch bereits einen unfassbar großartigen Schritt getan. Nutze dein Auto, wenn du es benötigst und fahre dennoch so oft wie möglich mit dem Rad und dem ÖPNV. Wasch mit 0815 Waschmittel und verwende an anderer Stelle ökologische Mittel. Zwischen „alles“ und „nichts“ liegt die ganze Welt.
Es gibt Umstände, auf die haben wir wenig Einfluss. Es gibt Dinge, die funktionieren bei Person A und B und bei mir nicht. Es gibt Ressourcen, die man nicht hat. Aber das alles ist kein Grund, das Thema Nachhaltigkeit zu lassen. Es ist nur eine Jetzt-Aufnahme. Jetzt klappt das nicht. Jetzt ist mein Leben so, das xyz nicht umsetzbar ist. Jetzt fehlt es noch an Möglichkeiten, das auch für mich umsetzbar zu machen.
Auf die Zukunft setzen, am Ball bleiben und die großen Player nicht vergessen
Wir müssen mit uns, aber auch ganz dringend mit anderen großzügiger sein. Ich glaube es ist falsch grundsätzlich von fehlenedem Interesse oder Ignoranz auszugehen, nur weil jemand das Thema nicht so umsetzt wie ich es richtig finde. Wir dürfen erkennen, dass es Grenzen gibt, die individuell sind und die teilweise nur durch äußere (auch gesellschaftliche) Veränderungen und Innovationen auflösbar sind. Das heißt für mich auch, wir können auf die Zukunft setzen. Darauf, dass es bessere Angebote geben wird, besser Zugänge, ein anderes Bild vom „guten Leben“.
Du siehst, es gibt Grenzen in der individuellen Nachhaltigkeit. Wir müssen dies anerkennen, uns gegenseitig motivieren und unterstützen in dem, was möglich ist. Wir müssen aufhören uns und andere zu beschämen und dagegen auch laut werden. Es wird an sehr vielen Stellschrauben gedreht werden müssen um Nachhaltigkeit für alle lebbar zu machen. Und dafür braucht es eben auch Forderungen an Verantwortliche auf anderen Ebenen. Weil nämlich das Streben nach mehr Nachhaltigkeit von dir und mir wichtig ist, aber nicht ausreicht. Denn auch die individuelle Verantwortung hat Grenzen.
Für Veränderugen müssen wir die Verantwortung also zum Teil weitergeben an diejenigen, die es in der Hand haben. Die Entscheidungen und Gesetze fassen können. Deren Stellschrauben ungleich größer sind. Und wir müssen diesen Menschen auch mitteilen, was wir davon halten, wenn sie uns wieder einmal einreden wollen, wir könnten uns ja locker für das bessere ihrer Angebote entscheiden, statt dass sie ausschließlich gute Produkte anbieten. Oder nur Eigenverantwortlich handeln, dann klappe das schon.
Nachhaltigkeit im Privaten deswegen aber zu lassen ist in meinen Augen nicht der richtige Weg. Vielmehr kann das individuelle Handeln Vorbild und Nachdruck für andere sein. In all seinen Grenzen und immer mit genügend Energiereserven um den Dreh an den großen Stellschrauben zu fordern.