Was ist eigentlich der IPCC? Hintergrundwissen zum neusten Sachstandsbericht 2021/22.
Unseren Umgang mit dem Klimawandel verstehen lernen: Umweltpsychologe Gerhard Reese über Selbstwirksamkeit, Wertewandel und das Kollektiv
Erst letzte Woche wurde der neue IPCC Bericht veröffentlicht, der uns eine 1,5 Grad Erderwärmung bereits für 2030 voraussagt. Jetzt ist der IPCC ja nicht irgendwer, sondern ein Organ von 195 Ländern und Regierungen. Was genau dieses Organ tut. das hatte ich euch im Beitag „Was ist eigentlich der IPCC?“ zusammengefasst. Seine Berichte sind von diesen 195 Regierungen unterzeichnet und sollen die Grundlage bilden für ein entsprechendes Handeln zum Klimaschutz aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse. Nur: Neu ist das alles nicht. Konkreter, ja. Aber neu? Nein.
So komme ich mal wieder auf die Frage zurück: „Warum tun wir uns so schwer, aus den Erkenntnissen zum Klimawandel Taten folgen zu lassen?“ Wir haben wissenschaftliche Daten. Machen weltweite und inzwischen lokale Erfahrungen mit den Folgen. Haben uns sogar 2015 auf eine weltweite Klimaschutzvereinbarung eingelassen. Und trotzdem bekommen wir Wissen und Handeln nicht ernsthaft zusammen. Auf großer Ebene scheint der Mut zu fehlen, im Kleinen halten wir uns an „PillePalle“ auf, statt die großen Schrauben zu drehen. Oder aber schieben das ganze Thema mit „Was kann ich schon tun?“ weg. Und eigentlich dachte ich, wenn wir nur genug Fakten haben, dann werden wir schon handeln.
George Marshalls Vortrag „Why is our response to climate change so weird?“
Weil ich so viele Fragen habe, habe ich mir vorgenommen, mir den psychologischen Aspekt vom Umgang mit dem menschengemachten Klimawandel genauer anzuschauen. Dazu habe ich einfach mal „Klimawandel“ und „Psychologie“ in die Suchmaschine eingegeben und bin über interessante Artikel und Videos gestolpert. An einem bin ich richtig hängen geblieben, über eine Stunde lang. Und das war der Vortrag von George Marshall 2015 in Melbourne.
Das Video ist auf Englisch und nicht immer leicht zu verstehen. Sein Vortrag aber sehr gut und kurzweilig. George Marshall stellt sich die Frage: „Warum reagieren wir auf den Klimawandel so seltsam?“ Er schaut sich unser rationales und emotionales Denken an und geht auf unseren widersprüchlichen Umgang mit Informationen ein. Und er sagt: Fakten allein reichen uns nicht. Denn unser emotionales und rationales Denken sind in einem ständigen Austausch. Und erst das Emotionale tickert bei uns das Handeln an. Wenn es uns betrifft. Das Sinnbild der Erderwärmung, der Eisbär auf schmelzender Scholle nämlich, trifft uns vielleicht auch emotional, hilft unserem Gehirn aber vor allem, das Problem nach „weit weg“ zu verlagern. Denn wie viel Bezug haben wir zu einem Eisbär? Eine Erzählung, die unseren direkten Erfahrungshorizont betrifft wäre viel greifbarer.
Das Narrativ des Klimawandels
Weil der Klimawandel für uns emotional und kognitiv herausfordernd ist, generieren wir Erzählungen. Erzählungen über den Klimawandel. Diese ermöglichen es uns ihn zu ignorieren oder abzulehnen. Oder das ganze in ein für uns passendes Bild einzubetten. Wir machen aus den Fakten also eine eigene sinnstiftende Erzählung um mit ihm umzugehen. Das Problem: Normalerweise haben unsere Narrative immer die Seiten Gut und Böse. Es gibt immer einen Widersacher, einen Gegner oder Bösewicht. Marshall spitzt es im Video so zu: Wäre der Klimwandel Nordkorea, er wäre längst erledigt.
Dieser Bösewicht fehlt uns aber beim Klimawandel. Selbst unsere Stellvertreterbösewichte wie Ölfirmen oder klimaleugnende Politiker sind ja nicht die Klimaveränderer. Sie glauben nur nicht an ihn oder nehmen die Schäden ihres Handelns in Kauf. Das macht sie zwar nicht zu tollen Menschen, aber sie sind nicht der Gegner. Wir haben also ein Erzählproblem. Hinzu kommt, dass der Klimawandel von drei Tatsachen begleitet wird: Die zeitliche Unbestimmtheit, unpräzise Folgen und persönlichen Kosten. Damit nimmt Marshall bezug auf Daniel Kahneman. Wir wollen uns damit nicht beschäftigen. Es ist weit weg. Unbestimmt. Nicht präsent. Außerdem ist es mit persönlichem Einschnitt verbungen. Marshall sagt sogar, wir boykottieren uns quasi selbst. Denn wir wissen um diese drei Faktoren und sagen uns daher, der Kampf gegen den Klimawandel werde eh scheitern.
Die große Stille des Nicht-Redens
Hinzu kommt das Phänomen des Nicht-Redens. Wie oft reden wir über den Klimawandel, ohne einfach nur schlechte Nachrichten zu bringen? Wie oft über das, was es mit uns macht? Selbst wenn wir beginnen über den Klimawandel zu sprechen, wird das Gespräch (außer in Fachkreisen) schnell beendet. Unser Gegenüber signalisiert Unwillen darüber zu sprechen und wir merken, dass wir „Party Pooper“ sind. Also sprechen auch wir weniger darüber. Und so entsteht eine seltsame Stille um den Klimwandel, der ja eigentlich Thema Nummer eins sein müsste.
Doch im Gegensatz zu Kahneman, der sehr pessimistisch auf das ganze blickt, sagt Marshall auch, dass wir die selbst gebauten Narrative verändern können. Wir können das Wissen nutzen. Wenn wir um die Dominanz des emotionalen Denkens, um die Kraft des Nicht-Redens über den Klimawandel und um das soziale Gewicht wissen, können wir das ganze in neue Erzählungen und Strategien stecken. Wir müssen reden. Überall und mit jedem. Nicht um mehr zu wissen oder recht zu haben, sondern um miteinander über die Ansichten, Sorgen, Gedanken zu sprechen. Und auch darüber, wie man selbst zu bestimmten Erkenntnissen gekommen ist. Respektvoll und nicht von oben herab.
Schaut euch den Vortrag mal an. Er ist wirklich sehr interessant. Ich überlege, mir sein Buch „Don’t even think about it“ zu kaufen um mehr Details zu lernen. Das ist zwar auch auf Englisch, aber lesen fällt mir leichter als hören. Ich finde nämlich, er hat ein paar sehr interessante Ansätze. Als nächstes werde ich mich aber erst einmal mit Umweltpsychologie, kognitiver Dissonanz und der Idee eines Wertewandels beschäftigen.