#allesGeschichte | Seelenheil mit ‚rent a pilgrim‘
#allesGeschichte | Da muss der Mönch ran
Weltkarten und das Weltbild im Mittelalter. Darum soll heute gehen. Was dachten die Menschen über unsere Welt? Was kannten sie für Kontinente? Wie war das mit Welt- und Landkarten? Und überhaupt, das waren doch alles Flatearther, oder? Diese lustigen Leute, die es heut noch gibt und die glauben, die Erde sei eine Scheibe.
Man erzählt ja bis heute auch von Kolumbus, er sei so aufgeklärt gewesen, dass er sich traute nach Westen zu segeln um nach Indien zu kommen. Und alle so: „Oh nein! Oh nein, du fällst runter!“ und er so: „Chillt mal, ihr Rückständigen.“ Ist natürlich so überhaupt nicht gewesen. Aber, haben wir nicht schon hier gelernt, dass es rückblickend wichtig ist, sich abzugrenzen? Und die folgenreiche Fahrt von Kolumbus stand an einer für spätere Menschen wichtigen Schwelle, nämlich dem Beginn der frühen Neuzeit. Und solche Schwellen aka Neuerungen muss mensch sich ja immer zurechtruckeln. Daher Kolumbus = Aufgeklärt, weiß Bescheid. Die anderen = noch in mittelalterlichem flache Erde Denken gefangen.
Die Erde ist (k)eine Scheibe
Ich beginne also bezüglich dem Bild einer Erdscheibe mit der berühmten Werbefrage: „Wer hat’s erfunden?“ Nein, diesmal nicht die Schweizer. Erst hat die Renaissance vorgelegt und dann das 19. Jahrhundert nachgezogen. Meine Freunde in Sachen Mittelalterbild. Was die sich alles ausgedacht haben, meine Herren. Unter anderem auch die Idee, dass man damals im Mittelalter dachte, die Erde sei flach. Eine Scheibenwelt quasi, nur nicht ganz so cool wie bei Pratchett. Und warum? Man muss wohl sagen, das es ein Prozess mehrerer Akteure/Interessen war.
Da ging es um Abgrenzung zu einer überholten Epoche. Einer Epoche, der man die Oberherrschaft der kath. Kirche (später der Kirche im Allgmeinen) zuschrieb, die alle Wissenschaft unterdrückte. Erst mit der Neuzeit, der Aufklärung, mit Kolumbus und Magellan wären die Menschen aus der Irre herausgeführt worden. Später galt gerade Kolumbus als der Held Europas. Er war dem Geist der Aufklärung verpflichtet, mutig, weitblickend. Im 19. Jahrhundert verfasst Washington Irving eine Biographie des Christoph Kolumbus, die prägend ist für dieses Bild eines fortschrittlichen Mannes im Zeichen alter Vorstellungswelten. Und ab da nimmt das Bild eines Flache-Erde Glaubens Fahrt auf.
Und belegen will man das mit mittelalterlichen Gelehrten, die von einer flachen Erde schreiben. Die gab es auch, nicht nennenswert viele und keine der großen Denker, aber es gab sie. Und so wurden einzelne Schriften von Außenseitern zu großen Weltbildern erkoren die bis heute die Vorstellung verbreiten, dass im Mittelalter alle an eine flache Erde glaubten. Kommt uns das unangenehm bekannt vor? Stichwort Klima oder Corona? Drei Wissenschaftler sagen „Das ist alles gaaaanz anders!“ und obwohl die Mehrheit sich einig ist in einer Sache, hängen sich alle an den Außenseitern auf. Sage noch jemand, wir seien so viel schlauer als damals.
Flache Erde als christliches Weltbild?
Denn es stimmt einfach nicht, dass die Menschen zwischen 500 und 1500 dachten, sie könnten von der Scheibe fallen. Spätestens in der Antike kristallisiert sich das Wissen um eine runde Erde heraus. Damals wurde sogar ihr Umfang ziemlich korrekt bemessen. Nur ein ganz kleiner und unbedeutender Teil von christlichen Kirchenleuten glaubte dann im Mittelalter an die Scheibenvariante. Aber die große Mehrheit der Gebildeten, zum Beispiel Thomas von Aquin (großer Kirchenvater) oder Hildegard von Bingen (Mystikerin) wussten um die Kugelform. Schließich wurden im Mittelalter weiterhin antike Schriften abgeschrieben und antikes Wissen gelehrt. Und auch Adelige wissen um eine Kugelwelt. Sagt euch der Name „Reichsapfel“ etwas? Die Kugel, oft mit aufgesetztem Kreuz gilt als Zeichen der Herrschaft über die gesamte Welt, als Kugel.
Womit Kirche allerdings ein Problem hatte ist die Sache mit dem Umkreisen der Sonne. Das geozentrische Weltbild (= die Erde ist der Mittelpunkt des Universums) verbot die Idee, dass wir nicht Mittelpunkt der Schöpfung sind, sondern einfach nur kreisen, nämlich um die Sonne. Was für Galilei im 17. Jahrhundert dann zum Problem wurde. Hätten wir das also geklärt. Schaut mal in den Geschichtsbüchern eurer Kinder nach, ob es da noch falsch drinnen steht. Oder fragt sie. Mein Sohn hat das tatsächlich noch genau so gelernt, inklusive Kolumbus. Achtet mal z.B. auf Abbildungen und den Kontext vom „Wanderer am Weltenrand“ von Flammarion (1888).
Weltkarten erzählen viel, aber nicht, wie man von A nach B kommt
Ok, also keine Scheibe. Dann gucken wir jetzt auf mittelalterliche Weltkarten, den sogenannten mappae mundi. Und wundern uns: Die ist ja gar nicht rund. Das ist ja wohl eine Scheibe! Jetzt ist das Ding mit mittelalterlichen Weltkarten nur, dass sie überhaupt nicht darstellen, was geographisch gegeben ist. Wer hofft, sich mit ihnen in der Welt zurechtzufinden, der wird enttäuscht sein. Denn diese Karten dienten nicht der Weg- und Weltvermessung – für die Orientierung im Raum dienten meist Texte – sondern waren eine Form der Darstellung einer christlichen Weltvorstellung. Es ging um die Visualisierung einer Welt als Schöpfung Gottes und deren Heilsgeschichte. Und auch die flache Darstellung ist an sich nichts mittelalterliches. Wer mal kurz auf seinen Diercke Weltatlas oder sein Landkartenprogramm am Rechner schielt, der weißt: nur, weil man keine Kugel sieht, heißt das nicht, dass man von Scheiben ausgeht. Es ist eben eine Frage: Worum geht’s bei der Darstellung von Welt?
Die Ökumene
Und im Mittelalter ging es bei Karten primär um die Darstellung der Schöpfung und Heilsgeschichte Gottes. Das ist auch der Grund, warum mittelalterliche Karten geostet (nicht wie heute in Europa genordet) sind. Denn im Osten liegt das Paradies. Und daher gehört der Osten nach oben, an prominente Stelle. Außerdem wird, vor allem im Zuge der Kreuzzüge, die Stadt Jerusalem als christliches Zentrum in der Mitte von Weltkarten gezeichnet, in Übergröße. Auch das ist Teil des christlichen Weltbildes, das auf Karten abgebildet werden soll. Schön kann man das hier nachsehen im Fall der (leider zerstörten und dann nachgearbeiteten) Ebstorfer Weltkarte von 1300.
Mittelalterliche Weltkarten weisen hauptsächlich ein T-O-Schema auf. Das sieht dann etwa so aus: Der Ozean (als allumspannendes O und Gottes Heilsplan) umfließt drei Weltteile. Asien befindet sich oben, Europa links und Afrika rechts. Das Mittelmeer als lange Säule und z.B. der Don und der Nil als Quertrennung bildeten ein T, welches an ein Kreuz erinnert. Die Dreiteilung kommt noch aus der Antike und konnte ins biblische Weltbild übernommen werden. Weil die drei Weltteile nämlich den drei Söhnen Noahs zugeteilt werden. Und diese drei Weltteile bilden die Ökumene, die bewohnte Welt. Eine weitere Variante sind Klimazonenkarten, welche die Erde nach klimatischen Bedingungen unterteilen.
Terra australis
Es gibt aber seit der Antike noch die Annahme über einen vierten Weltteil. Terra australis incognita . Dieser Weltteil liegt außerhalb der Ökumene im Süden. Man nimmt von ihm an, dass er existiert, aber man weiß es nicht sicher. Und man kommt auch nicht hin. Denn der Äquator als heißer Feuerring trennt diesen vierten Weltteil vom Rest ab. Meistens geht man davon aus, dass dieser Teil aufgrund der Hitze unbewohnt sei. Daher bildet er die Anökumene (= die unbewohnte Welt). Immer mal wieder findet man diese terra incognita auf Weltkarten eingezeichnet. Manchmal werden dort aber doch Menschenartige, sogenannte Antipoden, verortet.
Im europäischen Mittelalter geht man also davon aus, dass es da noch einen weiteren Kontinent im Süden gibt. Aber man weiß nichts konkretes. Von einem Kontinent „Amerika“ weiß man nix. Von dessen Existenz wussten zwar wohl irgendwann einige Wikinger (in welchem Umfang auch immer) aber erst sehr viel später stolperte Kolumbus auf seinem Weg Richtung Indien aus Versehen darüber. Mit den schlimmsten Folgen für die Bewohner*innen.
Portulane – oder wenn einer eine Schiffsreise tut
Jetzt ist es ja mit allem so, dass nichts bleibt wie es ist und sich Dinge verändern. So auch Karten. Denn im Laufe der Zeit wurde es sehr wohl interessant, sich mit Karten (statt nur mit Textbeschreibungen) im Raum zu orientieren. Vor allem in der Seefahrt. Wo liegt welcher Hafen und wie weit ist das? Seit dem 13. Jahrhundert finden sich die sogenannten Portulankarten, auf denen exakte(re) Küstenlinien aber auch z.B. Meerestiefen und Strömungen dargestellt werden. Diese wurden in Italien erstmals verfasst, meist noch mit einem Beibuch, dass detaillierte Anweisungen gibt.
Ich könnte jetzt noch einen Abstecher machen zu Antipoden (Gegenfüßlern) und anderen Vostellungen von Menschen (und Tieren) jenseits des eigenen Erfahrungshorizonts, die manchmal auch auf Weltkarten gezeichnet wirden. Aber ich glaube, für heute lasse ich es mal gut sein. Denn die zwei wichtigsten Infos bin ich los geworden: Die Erde galt auch den Menschen im Mittelalter nicht als Scheibe und mit einer T-O-Karte versteht man zwar die christliche Geschichte, findet aber niemals irgendwohin.
Über den Tellerrand geblickt
Was ich abschließend noch sagen möchte, und das wird wegen fehlendem konkreten Wissen relativ kurz: mittelalterliche Christen waren natürlich nicht die einzigen, die zwischen 500 und 1500 Weltkarten produziert haben. Eine ganz eindrückliche (gesüdete) Karte, die Tabula Rogeriana hat Abu Abd Allah Muhammad al-Idrisi al-Qurtubi al-Hasani al-Sabti (Kurz: El Idrisi), ein arabischer Kartograph, Geograph und Botaniker im 12. Jahrhundert in Sizilien für Roger II. (dem Normannen) hergestellt. Sie ist anscheinend die genaueste Weltkarte bis zum 15. Jahrhundert. Schaut sie euch mal an.
Zum nach- und weiterlesen:
Mittelalter Lexikon: T-O-Karten
Mittelalter Lexikon: Portulankarten
Wen es interessiert, welche Funktion die Vorstellungen von Vergangenheit heute haben, dem empfehle ich den Artikel „Dekonstruktion des Mythos‘ der flachen Erde“ von Roland Bernhard von 2014. Ist als PDF frei lesbar. Wer es lieber visuel mag, für den gibt es einen Vortrag auf Youtube von Bernhard (2020).