Unseren Umgang mit dem Klimawandel verstehen lernen: Umweltpsychologe Gerhard Reese über Selbstwirksamkeit, Wertewandel und das Kollektiv
Ich besitze zu viel Kleidung und muss da jetzt einen Riegel vorschieben. Ein Jahr #IchKaufNix
Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlichen Fakten zum Klimawandel (auch bei allen Unwägbarkeiten) und dem individuellen (und damit verbundenen kollektiven) Handeln könnte nicht größer sein. Es ist fast zum Haareraufen. Vor allem, weil mit dem aktuellen Teilbericht des IPCC noch klarer wird, dass Handeln längst überfällig ist. Wir erleben regelmäßig ein Gefühl von kognitiver Dissonanz. Also dem Widerspruch zwischen zwei Handlungen/Überzeugungen. Wir wissen, etwas ist schlecht und tun es trotzdem. Wir wissen, auf etwas zu verzichten wäre gut, geben dem Wunsch aber doch nach.
Warum gelingt es uns nicht, nach unserem Wissen zu handeln? Im ersten Teil über unseren Umgang mit dem Klimawandel habe ich mir George Marshall angehört. Er sieht das emotionale Denken als den ausschlaggebenen Punkt. Wir handeln nicht rein rational aufgrund von Fakten und Daten, sondern auf einer emotionalen Ebene, die sich immer wieder im Streit mit unserem rationalen Denken befindet. Im zweiten Teil ging es mit Gerhard Reese um die sozialen Norm und das Kollektiv. Wie verhalten sich die anderen? Danach richten wir uns. Dazu kommt unsere erlernten Werte von Wachstum und Konsum. Wir können diese durch einen Wertewandel überwinden und innerhalb eines Kollektiv Selbstwirksamkeit erfahren.
Unsere Verteidigungsmechanismen stehen uns im Weg
Es gibt aber noch einen Grund, warum wir uns erst gar nicht daran machen es zu probieren. Und das sind unsere Verhaltensmuster. „Es gibt (…) psychologische Barrieren, die verhindern, dass man das, was uns die Wissenschaft erzählt, wirklich annimmt. Das hat man bis jetzt unterschätzt.“ so der Psychologe Per Espen Stoknes in der Deutschen Welle (17.2.2014). Auch die Psychologin Kari Norgaard geht in ihrem Buch „Living in Denial“ der Frage nach, warum wir unser Wissen nicht im Alltag umsetzen und kommt zu dem Schluss: Wir bringen den Klimwandel einfach nicht mit unserem privaten Lebensstil in Verbindung. Wir lösen also den Klimwandel aus unserem Alltag. Heißt, wir schieben ihn weg. Zum Beispiel durch Verantwortungsverschiebung. Im kleinen wie im großen („aber die Amerikaner, die Chinesen!“) Oder durch Ignorieren. Auch das ist ein Verteidigungsmechanismus wie die Relativierung (Wird schon nicht so schlimm) und das Leugnen (gibt es gar nicht). All das dient oft dem Selbstschutz.
Gleichzeitig können wir die Gefahr überhaupt nicht greifen. Zu komplex ist das Problem, zu abstrakt die Gefahr. Uns fehlt schlicht die Erfahrung mit solchen Dingen und die Vorstellungskraft, dass es uns treffen könnte. Im Interview mit Geo.de (3.9.2020) geben Lea Dohm und Felix Peter, beide bei „Psychologists for Future“, neben der fehlenden Gefahrenwahrnehmung auch noch die Verantwortungsdiffusion als Problem an. „Warum sollte ich was tun? Es gibt ja genügend andere.“ Das ist ein bisschen wie bei einem Unfall. Alle stehen rum, keiner hilft. Weil alle glauben, ein anderer könnte ja (besser) helfen. Ein interessant klingender Sammelband zum Thema Psychologie und Klimakrise kommt übrigens diesen August noch in den Buchhandel. Autor:innen sind unter anderem auch die hier erwähnte Psychologin Lea Dohm und Psychologe Felix Peters.
Die Entfremdung des Menschen von der Natur
Jetzt folgt ein kleiner Exkurs, der am Ende wieder zurück auf den Weg schwingt. Es geht um die Annahme, dass wir uns so weit von der Natur entfernt haben, dass wir die Krise nicht als solche begreifen. So formuliert es jedenfalls Psychosomatiker Christoph Nikendei im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (5.7.2021) Durch die Funktionalisierung der Natur im Kapitalismus haben wir uns von ihr gelöst, wie sehen uns nicht mehr als Teil davon. Da hat auch der Corona Lockdown und die daraus resultierende Flucht in die Natur langfristig scheinbar nicht geholfen. Denn man möchte sich inzwischen wieder was gönnen, also konsumieren. Bestenfalls mit schlechtem Gewissen. Die entstehende kognitive Dissonanz ist für Nikendei übrigens etwas gutes. Denn sie bringt uns in die Auseinandersetzung mit dem Problem. Auch er sieht übrigens das Problem des Nichtgreifenkönnens der Gefahr. Und benennt Scham, Verzweifung und innere Konflikte als Auslöser für Verdrängung. Und diese Gefühle führen zum oben bereits erwähnten Selbstschutz mittels Verdrängung.
Am spannensten im Interview ist für mich der Begriff „soziale Kipppunkte“. Er bezieht sie hier auf soziale Wertverschiebungen. Werte legen sich Stück für Stück gleich umfallender Dominosteine um. Konkret nennt er den Begriff „Flugscham“, den inzwischen sehr viele kennen, der vor 5 Jahren aber noch überhaupt nicht bekannt war. Das heißt, es kann sich auf sozialer Ebene etwas verändern in dem, was wir gut und schlecht finden. Werte können sich ändern. Und das wiederum beeinflusst unser Handeln. Denn wir sind abhängig vom Wohlwollen der Gesellschaft.
Miteinander über den Klimawandel reden ist das A und O
Für mich heißt das: Wandel passiert. Langsam, aber beständig. Und am besten, indem wir miteinander reden. In unseren Gruppen. Auf unsere Art und Weise. Wie die Science Moms, deren Ziel es ist US-amerikanische Mütter, auch auf emotionaler Ebene, für das Thema Klimawandel zu sensibilisieren. Muss man nicht mögen, ist aber ein spannender Weg. Damit stößt Nikendei ins gleiche Horn wie alle anderen bisher erwähnten Wissenschaftler:innen. George Marshall spricht darüber, wie seine Versuche, über den Klimawandel bezogen auf konkrete Lebenspläne zu sprechen ins Leere verlief. Wir reden nicht über den Klimawandel oder wollen es zumindest nicht. Allenfalls ploppt er in einem Gespräch auf und wird durch Themenwechsel schnell wieder verstummen. Dabei ist das darüber reden unsere größte Stärke. Statt uns gegenseitig moralisch fertig zu machen, müssen wir reden. Über aktuelle Themen, über das was uns Sorgen macht, über den Einfluss vom Klimawandel auf Entscheidungen (z.B. Hausbau, Kinderwunsch). Und auch über unsere Wünsche und Forderungen an die Politik, an die Wirtschaft, unsere Utopien und Hoffnungen.
Ohne seufzendes „Ach kann man ja doch nichts ändern.“ Dafür mit Nachdruck an den richtigen Stellen. Holen wir durchs darüber sprechen den Klimawandel endlich aufs Podest. Denn dort gehört er hin. Wir müssen über ihn reden, über unsere Zukunft und über die psychologischen Hindernisse und Widersprüche die uns immer wieder zurück werfen. Und besonders schön: Über das Verzeihen. Davon erzählte Marshall in seinem Vortrag. Ein, die Bedrohung durch den Klimawandel anerkennender, evangelikaler Pfarrer in den USA meinte, man rede nie über Vergebung im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Vergebung. Wie auch immer das aussehen kann. Mir gefällt der Gedanke genau so gut wie Marshall.